Es gibt wirklich viel Unbedachtes in der Vorberichterstattung des heutigen Viertelfinales zwischen Deutschland und Griechenland. Und damit meine ich nicht nur die strohdummen BILD-Schlagzeilen oder die schlechten Witze zum Verhältnis der beiden Länder. Nein, es werden schlimmste Dinge ohne jedes historische Feingefühl fabriziert und in weiten Teilen der Medien ersetzt eine regelrechte Kriegsberichterstattung die Information rund um die EM. In seinem satirischen Beitrag «Heimspiel in Danzig» schießt Henning Bornemann präventiv zurück. Doch ob des Zitierten vergeht einem das Lachen ganz schnell.
Einen besonders schlimmen Punkt des nationalen Chauvinismus‘ spricht Maike aka @ruhepuls an, und so kommen wir auch schon zum «Tweet der Woche», der ihrer Tastatur entstammt und vielen von uns aus der Seele spricht:
Freude über den Spielgewinn der Mannschaft, die man als Fan unterstützt, ist eine Sache. Ein unterschwelliger, übersteigerter Nationalismus ist die andere. Dazu passend eine aktuelle Lektüre-Empfehlung:
Farbe ins Gesicht, Trikot an und schon wird gegrölt. Seit 2006 ticken Deutsche bei WM oder EM aus. Doch um Party geht es vielen nicht, sie leben ihren Nationalismus aus.
Weiter im Artikel von Constantin Wißmann auf ZEIT Online:
«Meine gefährliche Liebe zu Deutschland».
Die vergangenen Tweets der Woche findet ihr hier.
In den letzten Jahren/Jahrzehnten war es schlichtweg nicht möglich, auch als Deutscher (gesunden!) Nationalstolz zu zeigen. Daher empfinde ich es als sehr erfrischend, wenn man nun auch als Deutscher zu seinem Land stehen darf – ohne, dass dies gleich mit dunklen Jahren der Geschichte in Verbindung gebracht wird!
@Kai: Genau deshalb schrieb ich ja:
Es geht aber vielfach über diese natürliche Unterstützung hinaus. Und wenn man sich den ZEIT-Artikel durchliest, wird schon klar, dass bei Vielen auch ein übersteigerter Nationalismus unterschwellig – unter dem Deckmantel des Fußball-Jubels – ausgelebt wird.
Markus, deine Sorge bzgl. übersteigerten Nationalismus teile ich. Leider zeigen Aktionen wie die der Grünen, wie leicht dieses Thema emotionalisiert und infolgedessen hitzig debattiert wird. Vor diesem Hintergrund ist es schwierig die Differenzierung zwischen Anhängerschaft zu einem wie auch immer gearteten Verein von Rückgriffen auf nationalbezogenen Stereotype, Bilder und Symbole zu leisten.
Bei internationalen Spielen bedienen sich die Spieler nun leider auch nationalbezogener Rituale, wie etwa dem Singen der Landeshymne. Hier müsste man überlegen, ob derartige Rituale nicht zur Unschärfe zwischen Nationalismus und Anhängerschaft eines Fußballteams beitragen.
Im permanenten, skandalisierten Krisenmodus der Berichterstattung der Medien werden derzeit politischen Debatten mit Sterotypen geflutet, die dann auch in Alltagsdenken und Alltagssprache leichter verfügbar sind (»alle wollen unserer Geld«, »Griechenland gutes Geld hinterherwerfen« etc.). Das halte ich für ein prekäres Setting, welches bei hochemotionalen Großereignissen mitunter problematisch werden könnten (und hoffentlich nicht zu sehr den Populisten politisch zuspielt).
Sachlich betrachte könnte man sicher vieles an der europa-politischen Konstellation kritisieren und infolgedessen Reformen anstreben. Denn Europa hat die Ansätze einer kosmopolitischen-demokratischen Vision noch nicht vollständig verwirklicht. Eine solche Version als Großerzählung aufgespannt, wäre wohl eine Möglichkeit, der gegenwärtigen »Wir-verkriechen-uns-auf-unsere-kleine-nationale-Scholle-und-schwenken-der-Krise-abwehrend-unsere-Flaggen-Mentalität« etwas entgegenzusetzen.
Hinter der Formulierung „gesunder Nationalstolz“ verbirgt sich aber vielleicht auch nur der Wunsch nach (solidarischer) Identität. Solange diese nicht exkludiert oder „ex-negatio“ konstruiert wird, mag diese Erscheinung unproblematisch bleiben. Was aber, wenn nicht?
U.a. ist es dieses Klientel, was Fußballfans im Vereinsfußball das ganze Jahr über anschaut, als seien es Aussätzige, was mich von Public Viewings fernhält. Ich fand auch die kürzlich erschienen Studien etwas erschreckend, da darin stand, dass für viele weder Fußball, noch Party der Anlass seien, sich diesem Massenwahn hinzugeben, sondern das Verlangen nach dem Ausleben eben dieser nationalen Identität.
Braucht man dazu einen Wettbewerb mit anderen, um diesen auszuleben?
@Tobias: Danke für Deinen ausführlichen Kommentar, dem eigentlich nichts mehr hinzuzufügen ist. Du hast vollkommen recht: da, wo Nationalstolz andere ausschließt, wird er eben so gefährlich.
@carstenbordeaux: Das ist ja das Traurige, dass sportliche Wettbewerbe von einigen Ver(w)irrten dazu benutzt werden, nationalistische Positionen auszuleben. Selbst unter denen, die tatsächlich noch das Sportliche an solchen Nationen-Wettbewerben sehen, gibt es leider Etliche, die ihr angeschlagenes Ego aufpolieren und ein Selbstwertgefühl daraus ableiten, dass sie stolz auf „ihre“ Mannschaft sind.
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