Wahlen in Spanien & Bremen. Über die Gefahr von Nichtwählern für die Demokratie und die Frage quo vadis Piratenpartei?

Die gestrigen Wahlen in Spanien (das Hauptthema der vergangenen Woche auf Text&Blog mit sage und schreibe 5 Artikeln, pro Werktag einer: I, II, III, IV,V) und in Bremen haben eines gemeinsam gehabt: die Nichtwähler haben sie gewonnen.

Die Wahlbeteiligung in Bremen wird bei traurigen 56,6 % vermutet (Quelle: Zweitstimme auf ZEITonline). In Spanien war sie zwar mit 66,23 % (Quelle: público.es) etwas höher, doch das hängt natürlich mit der enormen Mobilisierung der letzten Protestwoche zusammen. Die Protestierenden forderten ja ausdrücklich zur Wahlbeteiligung auf. Ihr «No les votes» (Wählt sie nicht!) bezog sich dezidiert auf die vom Wahlgesetz übervorteilten beiden großen Parteien PSOE und PP. Doch beinahe 1 Million Spanier (ca. 4,2 % der Wahlberechtigten) hat bewusst ungültig gewählt: 584.012 mit leeren, 389.506 mit ungültig gemachten Wahlzetteln. Nimmt man all das zusammen, ergibt sich diese denkwürdige Wahlgrafik:

Elecciones 2011. Quelle: @pabloguil
schwarz: Enthaltung, hellgrau: leere Wahlzettel, dunkelgrau: ungültige Stimmen.

Ein wichtiges Ziel der Protestierenden ist eine Wahlrechtsreform. Eine überaus verständliche Forderung, wenn man sich ein bisschen näher mit dem Wahlrecht in Spanien befasst, das die beiden großen Parteien extrem übervorteilt. Heute hat das – danke nochmal an @westernworld für den Hinweis – ein Kommentator auf ZEITonline sehr gut beschrieben: Demokratieproblem durch Wahlgesetz.

Zurück zu Bremen: wie gesagt sehr enttäuschende Wahlbeteiligung. Man könnte sicher eine vergleichbare Grafik zur spanischen erstellen (vllt. gibt es sie auch schon? Hinweise gerne in den Kommentaren). Nichtwähler sind in einer Demokratie ein großes Problem, wie dieser Forschungsbericht der Projektgruppe „Nichtwähler“ an der Universität Bremen aufzeigt: Wahlenthaltung als politisches ProblemWahlenthaltung als politisches Problem – Ein Forschungsbericht unter besonderer Berücksichtigung der Situation im Stadtstaat Bremen. Institut für Politikwissenschaft, Univ. Bremen. Verantwortlich: Prof. Dr. Lothar Probst (Projektleiter). Erscheinungsdatum: 09/2006 (PDF).

Als Pirat hatte ich mir, gerade auch weil zum 1. Mal bei einer Landtagswahl die 16- und 17-Jährigen wählen durften, ein besseres Ergebnis erhofft. Immerhin holten die Piraten bei den Jugendlichen 7 %. Die Piraten bekamen bei der Bremenwahl auch mehr Listenstimmen als die FDP (Quelle: Peter Mühlbauer auf Telepolis). Und mehr Stimmen als die NPD. Die 2%, bei denen wir wohl letztlich gelandet sind, momentan schlägt der Auszählungspegel wieder zur 1,9 Prozentmarke aus (Quelle:wahlen-bremen.de, 290 von 507 Wahlbezirke) sind ein stolzes Ergebnis für eine so junge Partei. Damit sich in Sachen Netzpolitik und Urheberrecht-Novellierung aber mehr tut in Deutschland, müssen noch mehr Menschen darüber informiert werden, wie wichtig diese Themen sind.

Zum Thema, ob 2 % nun enttäuschend oder beachtlich sind, gab es heute Abend zwei interessante Blogartikel. Der 1. von Paul Meyer-Dunker (@PMDHamburg): Bringt uns näher zum Horizont und der 2., im Prinzip darauf reagierend, aber sicher hatte er dieses Thema eh auf dem Radar: Claudius Holler (@C_Holler): Mistige 2 Prozent oder auch Splitter(im A****)Partei. Claudius beendet seinen Artikel mit den Worten:

Wir brauchen keine Diskussion über Themenerweiterung oder Fokussierung, die Themen sind schon da, sie kommen zu uns und schließen einander nicht aus, solang wir sie weiterhin so demokratisch und hitzig diskutieren. Wir sind ein wachsender Organismus und arbeiten im laufenden Betrieb und da ist jede einzelne Wählerstimme, eine die es Ernst meint. Die Frage ist nicht, ob wir in ein Parlament einziehen, sondern wann und wo. Und jetzt lasst uns Hausaufgaben machen.

Tja, was soll man jetzt davon halten? Muss man nicht noch deutlicher auf die Menschen zugehen, die nicht so recht wissen, wofür die Piratenpartei denn nun – über die bekannten Themen Netzpolitik und Urheberrecht hinaus – steht? Bin noch unschlüssig. Ich zitiere aus meinem dortigen Kommentar:

Danke für die gut nachvollziehbaren Gedanken. …
Du skizzierst ein Dilemma, dass sicher ganz viele Piraten (den Kommentator eingeschlossen) momentan bewegt: Wie erreicht man eine Umsetzung seiner politischen Ziele:

1. indem man sich auf seine Kernthemen fokusiert und die weiter nach vorn bringt (was auch heißt: ins Bewusstsein derer, die diese Themen so noch gar nicht auf dem Schirm haben) oder

2. öffnet man die Themen und sagt: was liegt denn alles im Argen, was muss besser werden in der Politik (und spricht damit die Leute an, die sich der gleichen Probleme bereits bewusst sind und nun in den Piraten die Partei sehen, die das umsetzt).

Ich bin mir zwischen 1 und 2 noch nicht ganz sicher. Wenn Euch dieses Thema auch interessiert, lest die Blogartikel bei Paul und Claudius.

Ich erlaube mir nach so viel politischem Zweifel und Nachdenklichkeit zum Abschluss noch einen weniger ernst gemeinten Ausblick: Wie geht es jetzt weiter in Spanien? Während Oppositionsführer Rajoy von der rechtskonservativen PP den ihm vollkommen unverdient zugeschusterten Sieg anstarrt (via @obdriftwood: Rajoy mirando cosas), wird sich die #acampadasol daran machen, dieses anspruchsvolle Mindmap-Konzept umzusetzen: Una linea sobre el mar (via @PaulMato). Es bleibt spannend. 😉

7 Kommentare zu „Wahlen in Spanien & Bremen. Über die Gefahr von Nichtwählern für die Demokratie und die Frage quo vadis Piratenpartei?“

  1. Ich denke, beide Beiträge sind wichtig, aber ich möchte noch einen dritten hinzufügen – den Kommentar von @incredibul zu Beitrag 1. Einen wesentlichen Punkt dürfen wir nämlich nicht vergessen: Wir sind keine NGO, sondern eine Partei. Es kann nur unser Ziel sein, in die Parlamente zu kommen und dort Politik zu machen. Wie schnell das jetzt gehen muss, weiß ich nicht. Ich hoffe aber, dass in Berlin im September ein Ausrufezeichen gesetzt werden kann.

    Mir sagen die 2 %, dass wir eine Basis haben, auf der wir aufbauen können. Aber wir müssen uns Ziele setzen, auf sie zuarbeiten, sie ggf. korrigieren. Wir müssen Politik machen (und ich glaube, wir wollen das auch).

  2. @BlackBuccaneer: Danke für den Hinweis. Den ausführlichen Kommentar von @incredibul, gab es noch nicht, als ich Pauls Text gelesen hatte. Schau ich mir noch an.

  3. Och ihr Piraten… 🙂

    Vielleicht macht ihr es euch selbst zu schwer. Schaut die Grünen an. Vor Jahren wurden sie noch belächelt als Öko-Heinies, und jetzt? Haben sie das Ruder gut in der Hand. Vielleicht wollt ihr zu schnell hoch hinaus. 🙂

  4. @Jürgen: Die netzpolitischen Themen, die aktuell weiter nach vorn gebracht werden müssen, lassen es aber nicht zu, 30 Jahre zu warten. Aber Du hast ja recht, die Umweltthematik war bereits Ende der 70-er mindestens genau so prägnant wie der heute schon drohende Verlust an Netzneutralität.

  5. @Markus

    Keine Frage, 30 Jahre sind zu lang. Ich denke das viele die Themen der Piraten nicht interessieren, weil sie denken es betrifft sie eh nicht. Vielleicht brauchen wir einen Vorfall damit sie “aufwachen”.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert