Artikel

Unsere Gesellschaft braucht Geisteswissenschaftler – trotz & gerade wegen schwieriger Berufschancen

Heute Vormittag habe ich auf Twitter auf den ZEIT-Artikel über arbeitslose Akademiker von Sarah Elsing hingewiesen: Eine Krise, die fürs Leben prägt.

Oft heißt es, Hochschulabsolventen seien die Gewinner der Gesellschaft. Die Rate der Arbeitslosen unter ihnen ist geringer als in jeder anderen Bildungsschicht. Knapp 78 Prozent der Geisteswissenschaftler aber finden wie Anna Günther (Name geändert) nach dem Abschluss nicht sofort einen regulären Job, zeigt eine Studie des HIS-Instituts für Hochschulforschung. Und auch ein Jahr nach dem Abschluss geht nur die Hälfte von ihnen einer regulären Beschäftigung nach. Selbst nach fünf Jahren liegt die Quote der abhängig Beschäftigten nur bei 70 Prozent. Bei den Absolventen der Ingenieurwissenschaften haben hingegen 90 Prozent schon nach zwei Jahren einen festen Arbeitsvertrag.

In dem Artikel geht es darum, dass viele Geisteswissenschaftler ihr Studium mit einem Antrag auf Hartz IV beenden und was das eigentlich mit ihnen mache. Ich war zwar selbst nicht direkt nach dem Studium arbeitslos, mich ereilte dieses schlimme Schicksal aber nach sieben Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Saarbrücken (1996-2002) und ich kann die im Artikel beschriebenen Zweifel, Sorgen und Ängste sehr gut nachvollziehen.

Auch wenn man als Geisteswissenschaftler sehr gut weiß, dass die Berufschancen in dem Bereich nicht zum Besten stehen, ist es doch wichtig, dass ein Teil unserer Gesellschaft das Risiko eingeht, etwas zu studieren, was ihm nicht automatisch einen sicheren Job beschert. Und auch wenn man sich während des Studiums auf diese problematische Situation vorbereitet, Auslandsaufenthalte, Praktikas und Volontariate usw. absolviert, kann es passieren, dass die Jobsuche trotzdem über einen längeren Zeitraum andauert.

Eine sehr schwierige Situation, die unheimlich viel Kraft kostet. Ich spreche – wie gesagt – aus eigener Erfahrung. Das ist auch ein strukturelles Problem des Arbeitsmarktes für Geisteswissenschaftler, wie im Artikel angesprochen. Die gute Nachricht ist aber, dass auch Geisteswissenschaftler – nachdem sie diese leidvolle Erfahrung überstanden haben – in den häufigsten Fällen, wenn auch nicht immer im Bereich des studierten Fachs, ihre Jobs finden.

Nach meinem Hinweis auf Twitter hat auch Lars Fischer, seines Zeichens Naturwissenschaftler, auf den ZEIT-Artikel verwiesen:

Als ich angefangen hab zu studieren hab ich mich erstmal informiert, wie es danach weitergeht. Offenbar nicht die Norm. http://bit.ly/i5nVSWFri Jan 21 10:46:50 via Echofon

Diesen Kommentar hätte ich von ihm so nicht erwartet. Daraus lese ich den Vorwurf: Man muss sich eben vor der Studienwahl über die Berufschancen informieren und dann entweder nur das studieren, was einen sicheren Job verspricht, oder man studiert eben Geisteswissenschaften und beschwert sich dann auch nicht, dass dies ein Problem für die spätere Berufswahl ist. Würden alle so denken, würden wichtige Studienfächer kaum noch gewählt und somit auf längere Sicht abgeschafft werden. Ich finde, wie brauchen mutige Menschen, die nicht nur karriereorientiert studieren.

Artikel, Politik

Berlin – Plädoyer einer Hass-Liebe

Wirres.net: schön hässlich

Grafik erzeugt mit Wordle auf Basis des Artikels «schön hässlich» von Felix Schwenzel.

Johanna Adorján schreibt in der FAZ über Das Haus, das keiner wollte (kann man lesen, muss man aber nicht). Als Reaktion darauf schreibt Felix Schwenzel auf wirres.net so viel Wahres über Berlin:

ist es nicht vielleicht so, dass die attraktivität einer stadt mit deren hässlichkeit steigt? oder moderater gefragt: kann einer gut funktionierenden stadt hässlichkeit überhaupt etwas anhaben? new york ist, wie berlin, abgrundtief hässlich. und trotzdem liebt jeder diese beiden städte. oder genauer, jeder hass-liebt beide städte.

Ein wunderbarer Text – leider nur in (kleinen) Kleinbuchstaben – über den Hass und die Liebe, die Menschen für (große) Großstädte empfinden: schön hässlich.

[via @mspro]

Artikel

Mark Twain – der Blogger

Mark Twain Nein, natürlich hat Mark Twain (1835-1910) nicht gebloggt. Aber der Vergleich seiner posthum veröffentlichten Autobiografie von damals mit dem Bloggen von heute macht schon Spaß:

Wie Twain gewissermaßen bloggte

Freilich handle es sich bei seiner Autobiografie nicht um Aufzeichnungen, die von der Rachelust angetrieben seien.

„Wenn ich unter jemanden ein Feuer anzünde“, so Twain, „dann verfahre ich nicht nur des Vergnügens wegen so, das es mir bereitet, diesen Menschen braten zu sehen, sondern weil er die Mühe lohnt. Es handelt sich also um ein Kompliment, eine Auszeichnung; möge der Betreffende dankbar sein und den Mund halten. Die Kleinen, Gemeinen, Unwürdigen brate ich nicht.“

Twain hat diese Autobiografie nicht geschrieben. Er hat sie einem Sekretär in die Feder diktiert. Für das, was er beim Diktieren tat, wissen wir Heutigen einen Fachausdruck: Mark Twain bloggte.

WELT Online über den Überraschungserfolg von Mark Twains Autobiografie, die er erst für 100 Jahre nach seinem Tod frei gegeben hat: Wie Mark Twain „frei aus dem Grab reden kann“.

Amazon: Autobiography of Mark Twain, Volume I: 1 (Mark Twain Papers).
Hier kann man ins Buch reinschauen.

Reinhören kann man beim Nordwestradio: Lesebuch: Mark Twain.

Foto: Wikipedia.

Artikel, Literatur

Offener Brief von Mario Sixtus in Sachen Leistungsschutzrecht

Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger, bereits im August hier im Blog behandelt, ist ein so irrsinniges Ansinnen der Verleger, dass man sich nur fragen kann, wie dreist und vorbei an der Realität so etwas angedacht werden kann. Mario Sixtus findet deutliche Worte zu diesem hilflosen Versuch der Verleger, sich verpasste Chancen per Gesetz honorieren zu lassen. In seinem offenen Brief an Springer, Holtzbrinck, Burda & Co., veröffentlicht auf Carta, schreibt er:

Liebe Verleger,

das tut jetzt vielleicht ein wenig weh, aber einer muss es mal deutlich sagen: Euch hat niemand gerufen! Niemand hat gesagt: “Mein Internet ist so leer, kann da nicht mal jemand Zeitungstexte oder so was reinkippen?“ Ihr seid freiwillig gekommen, und ihr habt eure Verlagstexte freiwillig ins Web gestellt. Zu Hauf. Und kostenlos. Ihr nehmt keinen Eintritt für die Besichtigung eurer Hyperlink-freien Wörterwüsten, weil ihr genau wisst, dass niemand dafür Geld ausgeben würde. Ihr habt seriöse und un- seriöse SEO-Fritzen mit Geld beworfen, damit Google eure Seiten besonders lieb hat. Ihr seid ohne Einladung auf diese Party gekommen. Das ist okay, ihr könnt gerne ein wenig mitfeiern. Prost! Aber wisst ihr, was gar nicht geht? Dass ihr jetzt von den anderen Gästen hier Geld kassieren wollt. Sogar per Gesetz. Verleger: geht’s noch?

Weiter auf Carta: Verlegerforderung Leistungsschutzrecht: Ja, habt ihr denn überhaupt keinen Stolz?

Update 30.12.2010: Wie Mario Sixtus gerade informiert, hat DRadioWissen den Text auch gesprochen. Kann man sich hier anhören:

[flash]http://wissen.dradio.de/liebe-verleger.download.42744d26a85347252a21a638f6cff84b.mp3[/flash]

Artikel, Politik

Bahndilemma: Geständnisse eines Zugchefs

Die Bahn im Winter, Foto: Andreas Levers, 96dpi Kaputte Klimaanlagen, vereiste Leitungen, verstopfte Toiletten: Ein Zugchef enthüllt die größten Schwächen der Deutschen Bahn. Eine Leseempfehlung nicht nur für Bahnreisende:

„Dieses Unternehmen hat vor den technischen Problemen kapituliert. Und dafür brauchen wir keinen Winter, denn im Sommer läuft es nicht viel besser“, sagt Zugchef Hansjörg Bender (Name geändert). „Die Deutsche Bahn ist eine Schönwetter-Eisenbahn“, klagt der Bahner, der seit vielen Jahren Zugbegleiter ist. „Es ist fast schon ein Wunder, dass überhaupt noch was fährt.“ Bender hat vor Monaten begonnen, in Notizen festzuhalten, was er auf seinen täglichen Fahrten in den Fernzügen quer durch Deutschland erlebt.

„Morgenpost Online“ hat er seine Erfahrungen geschildert, wir dokumentieren sie ausführlich im Wortlaut. Bender möchte anonym bleiben und nicht etwa mithilfe von Dienstplänen identifiziert werden können. Um diesem Wunsch nachzukommen, hat die Redaktion einige Orts- und Zeitangaben geändert.

Weiter in der Berliner Morgenpost: «Ein Insider packt über Zustände bei der Bahn aus».

Foto von Andreas Levers (96dpi auf Flickr).

Artikel

45 plus

45 Kennt Ihr die Generation 45 plus? Nee? Ich auch nicht. Aber Reader’s Digest weiß, was das für Leute sind:

Im Vergleich zu früheren Generationen ist sich 45 plus sicher, heutzutage mehr aus dem Leben machen zu können. „Menschen jenseits der 45 Jahre haben durch ihre weitgehend abgesicherte wirtschaftliche Position eine neue Selbstwahrnehmung für die eigenen Möglichkeiten entwickelt“, sagt Max Bieniussa Leusser von Reader’s Digest Deutschland. „Das positive Lebensgefühl hängt mit der Tatsache zusammen, sich mehr leisten zu können und das auch zu tun.“

Ich fall‘ da irgendwie noch aus der Zielgruppe.

Bildquelle: Wikipedia

Artikel

Macht der Lobbyisten gefährdet die Demokratie

Harald Schumann hat im Tagesspiegel einen sehr beeindruckenden Artikel veröffentlicht. Er warnt darin eindringlich davor, dass es mit dem von der aktuellen Regierung auf die Spitze getriebenen Lobby-Einfluss so nicht mehr weitergehen kann. Fassungslos mussten wir alle zur Kenntnis nehmen, wie sich die Regierung Merkel/Westerwelle von der Atomlobby über den Tisch ziehen ließ. Auch die Vorgängerregierungen mit SPD-Beteiligung haben sich auf diese dem Gemeinwohl entgegenwirkende gefährliche Nähe von Großkonzernen und Regierenden eingelassen. Das zeigt sich auch darin, dass immer mehr Politikaussteiger von der Privatwirtschaft mit lukrativen Posten in Branchen belohnt werden, für die sie zuvor wohlwollende Politik betrieben haben. Schumann fordert eine Stärkung der Parlamentarier, um die Erosion der Machtkontrolle des Parlamentes zu bremsen. Nun ist der Artikel leider nicht in der BILD erschienen, da würde er auch kaum gelesen, da er mehr als 5 Zeilen Text enthält, sondern im Tagesspiegel. Wer noch längere Texte aufnehmen kann, lese sich das bitte durch:

Verkommt Deutschland also zur Lobby-Republik? Betreiben finanzstarke Interessengruppen eine „schleichende Unterwanderung der demokratischen Entscheidungsfindung“, wie die Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt beklagte? Der Schluss liegt nahe und erklärt doch wenig. Schließlich ist das Wirken der Gesetzeseinflüsterer in der Lobby, der Eingangshalle der Parlamente, so alt wie die Demokratie selbst. Das Werben für Interessen aller Art bei Volksvertretern und Regierenden gehört seit je genauso zum demokratischen Prozess wie Wahlen und Parlamente. Auch Umwelt- oder Sozialverbände betreiben Lobbyismus. Und doch ist das Unbehagen über den wachsenden Einfluss ungewählter Interessenvertreter auf das Handeln der Regierenden nur allzu berechtigt. Denn es sind eben nicht Greenpeace oder die Arbeiterwohlfahrt, sondern Wirtschaftsverbände und Konzerne, deren heimliche Einflussmacht immer größer wird.

Harald Schumnann: Lobbyisten – Die Einflüsterer der Republik, erschienen im Tagesspiegel, 11.12.2010.

Ich verweise bei der Gelegenheit noch mal auf die sehenswerte Dokumentation Lobbykratie – Die inoffizielle Macht (3sat – Scobel, Ausstrahlung 02.09.2010), in der sich der Wissenschaftsjournalist Gert Scobel auf 3sat eingehend mit den Gefahren des überhand nehmenden Einflusses der Lobbyisten auf eine funktionierende Demokratie beschäftigt hat.

[via @hjbove]

Artikel, Politik

Castor-Protest geht weit über das Wendland hinaus

Atom-Protest im Wendland. Foto: InAMillionYears.com Der ZEIT ONLINE-Reporter Carsten Lißmann hat die Castor-Proteste begleitet. Sein lesenswertes Fazit ist auf ZEIT ONLINE nachzulesen:

Drei Nächte harrten die Demonstranten im Wendland aus – ohne Aussicht, den Castor-Transport zu verhindern. Warum das alles? Weil es um mehr geht.
[…]
Wenn jener Protest nach den Laufzeitverlängerungen durch die schwarz-gelbe Bundesregierung noch einen weiteren Beweggrund brauchte – er wurde an diesem Wochenende in elf Containern geliefert.

So ist es. Zum ganzen Text bitte hier entlang: «Die Macht der Rituale».

Obiges Foto wurde von einem der Fotografen des InAMillionYears-Teams aufgenommen, das in großartigen Fotoreportagen und Filmen bisher schon 3 Tage Protest dokumentierte. Obiges Foto ist ein Vorschaubild auf Tag 4, der im nächsten Film ab morgen im Netz zu bewundern sein wird. Meine ganze Hochachtung gilt neben den Tausenden Menschen, die gegen den Wahnsinn der Atompolitik demonstriert haben, auch der Presse und den Fotografen, die das alles für uns dokumentieren.

Artikel, Foto, Politik
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