Der Germanist und Medienwissenschaftler Dietrich Leder hat einen langen und höchst lesenswerten Text zur Bedeutung von Serien im deutschen und us-amerikanischen Fernsehen geschrieben, den ich zur Lektüre empfehlen möchte. Selten wurde deutsche Fernsehgeschichte mit all ihren Einflüssen, Kopier- und gleichzeitig auch Abgrenzungsversuchen gegenüber den us-amerikanischen Vorbildern so kundig und versiert zusammengetragen:
In den letzten zwei Jahren ist in Deutschland eine heftige Diskussion um die Fernsehserie entbrannt. Die Diskussion kreist um drei Themenfelder. Es geht zum ersten um die spezifische Qualität von US-Serien, die von deutschen Sendern ausgestrahlt werden (sei es im Free-TV oder Pay-TV), die in DVD- und Blu-ray-Editionen zu erwerben sind oder die gerade erst in den USA gestartet wurden. Es geht zum zweiten um die noch relativ neue Möglichkeit, solche US-Serien über Online-Portale wie Netflix, Amazon oder iTunes kostenpflichtig anzuschauen – entweder im Monatsabonnement oder per Einzelabruf. Diese Möglichkeit wird als non-lineares Fernsehen bezeichnet und erhält große Attraktivität durch die Chance, Serien-Folgen nicht nur zu jeder beliebigen Zeit, sondern in jedem frei wählbaren Rhythmus und also auch komplett in einem Stück zu konsumieren. Für Letzteres hat sich in den USA und dann auch in Deutschland der Begriff des Binge-Watching oder auch Binge-Viewing ausgebildet. Und es geht zum dritten um ein behauptetes Defizit deutscher Sender, die sich bislang in der seriellen Produktion zurückgehalten und somit darin nie die Qualität erreicht haben sollen, wie sie den US-Serien eigen sei.
Wie gesagt, der Beitrag von Dietrich Leder ist sehr lang, doch das Durchhalten bei der Lektüre lohnt – versprochen! – : Als wäre es ein Weltwunder – Zur deutschen Begeisterung über die gegenwärtige Serien-Produktion in den USA.
Wenn ich bedenke, wie lange ich mich gegen das Serienschauen gewehrt habe, weil ich aus Zeitmangel dachte, es wäre eine Verschwendung meiner kostbaren Zeit. Anhand von Dexter hab ich ja mal vor Jahren beschrieben, warum ich diese Haltung geändert habe: Tiefgang und Spannung auf hohem Niveau. Mittlerweile bin ich seit etwas mehr als einem Jahr begeisterter Netflix-Nutzer. Wie so viele wegen der von Leder auch erwähnten Serie House of Cards eingestiegen, und danach eine Menge höchst interessanter Serien entdeckt: Netflix und House of Cards – Von Epischer Brechung im neuen TV-Zugang.
Die Fernsehgeschichte der Serien in Deutschland und USA, die Leder in seinem fundierten Text so glänzend zusammenfasst, ist – was ihre Wirkungsmöglichkeit bei uns betrifft – noch nicht zu Ende erzählt. Der letzte Absatz des Textes macht Hoffnung und fordert gleichsam dazu auf, dass hiesige Kulturschaffende den Mut und die Inspiration haben werden, sie auf das nächste Level zu heben:
Zur Belebung der Serien im deutschen Fernsehen gehören: die Revitalisierung anderer Genres als das des Krimis; der Mut, auch ein anderes Erzählen auf den Feldern der Gegenwartsgeschichte bar jeder Pädagogik zu erproben; die Pflege von Sendeplätzen, die erst die Kontinuität auch kompliziert erzählter Serien erlaubt; ein stärkeres Repertoire-Bewusstsein, das zu einer Wiederholungskultur und nicht einer reinen Wiederholungsvermarktung führt; die Unabhängigkeit von Moden und Manien des Feuilletons, das hysterischer reagiert, als es selbst denkt, und das deshalb dem Quotendruck der Sender verwandter ist, als es glaubt.