Meisterwerke in neuem Licht und crossmediales Augenzwinkern

Hamburger Stilleben – Meisterwerke in neuem Licht

Zur Kulturbetrachtung in Hamburg komme ich in letzter Zeit fast nur noch, wenn Frau Indica die Hansestadt bereist. Dann nehmen wir uns ein, zwei Ausstellungen vor, die wir gemeinsam besuchen. Mit kritischem, spaßbetontem Blick. Bildungsbürgerliche Betrachtungsweisen sind uns fremd. Und gerade weil wir so viel Spaß dabei haben, zollen wir den gezeigten Kunstwerken größten Respekt. Das war schon bei der Runge-Ausstellung so («Modernes Genie der Romantik: Runge in der Kunsthalle», Februar 2011) oder etwa beim Beklettern des «Horizon Field» von Antony Gormley («Deichtorhallen Hamburg verzaubert mit Horizon Field», Juli 2012). An diesem Wochenende haben wir uns «Spot On» in der Hamburger Kunsthalle und die Leica-Ausstellung in den Deichtorhallen vorgeknöpft. Ein kurzer (Spaß- und Respekts-) Bericht dieser beiden – so viel sei vorweg genommen – sehenswerten Kunstzusammenstellungen.

Mit Spot On hat die Hamburger Kunsthalle aus der Not eine Tugend gemacht. Das Museum wird bis 2016 aufwändig umgebaut und modernisiert. Solange sind natürlich große Bereiche geschlossen. Doch statt in dieser Zeit den Ausstellungsbetrieb einzustellen, hat man über 200 Kunstwerke im Sockelgeschoss der Galerie der Gegenwart klug zusammengestellt:

Themenräume laden ein, die Sammlung unter verändertem Blickwinkel zu erleben: Im Spannungsfeld von Rolle und Identität, Natur und Kultur, Geste, Material und Rhythmus werden die Werke der Sammlung hier präsentiert.

Das ist nicht nur Marketingsprech, denn man sieht die Meisterwerke in der Tat mit ganz anderen Augen. Mir ist etwa aufgefallen, dass die Werke in dem veränderten Licht tatsächlich ganz anders wirken. Und plötzlich achte ich auf solche Dinge wie den Schattenwurf der Rahmen. Wenn ihr in die Ausstellung geht (sie ist bis zum 17. Januar 2016 zu sehen), achtet mal darauf, welch wunderschöne Schatten die Rahmen werfen:

Bilderrahmen von Chrysanthemen (1922) von Lovis Corinth
Bilderrahmen von Chrysanthemen (1922) von Lovis Corinth

Aber keine Sorge, wir haben jetzt nicht nur auf die Rahmen und auf das Licht geschaut. Es ging uns schon um die Kunstwerke. Frau Indica liebt ja die Stillleben. Vollkommen zurecht. Zu den Beckmann’achen Stillleben, die bis zum 18.1.2015 auch in der Kunsthalle gezeigt werden, sind wir gar nicht vorgedrungen. Aber auch «Spot On» hat natürlich welche parat: Etwa das großartige «Prunkstillleben» aus dem Jahr 1638 von Willem Claeszoon Heda:

Prunkstillleben von Willem Claeszoon Heda

Dieses Gemälde ist fast 375 Jahre alt! Schaut euch bitte die Spiegelung in der Teekanne an. Der Hammer (wie immer gibt es alle Bilder hier im Blog per Klick auch in groß):

Teekanne aus 'Prunkstillleben' von Willem Claeszoon Heda

Mein Lieblingsbild aus der Ausstellung ist ein Selfie. Über den dämlichen Selfie-Trend des Jahres 2014 kann der hierfür verantwortliche Meister allerdings nur müde lächeln. Sein «Selbstporträt mit aufgestütztem Arm» hat es mir angetan. Darf ich vorstellen? Dietrich Ernst Andreae (deutscher Maler, 1680–1734):

'Selbstporträt mit aufgestütztem Arm' von Dietrich Ernst Andreae

Dieses Selfie ist kein Schnappschuss mit dem Smartphone, sondern eine mit dem Smartphone aufgenommene konzentrierte Selbstzeichnungs-Arbeit des Meisters vor dem Spiegel. Den Blick des Malers im Detail zu betrachten lohnt. Wie gesagt: Klick aufs Bild zeigt die Kunst in groß.

Wo wir schon beim Thema Selfie sind, die Installation «The leaning paintings» des portugiesischen Künstlers Pedro Cabrita Reis lädt geradezu dazu ein, Selfies in seiner Spiegelfläche zu schießen:

Leaning paintings von Pedro Cabrita Reis

Frau Indica und ich, die ikonisierten Kunstausstellungsbesucher der Herzen, nahmen die Einladung gerne an und präsentieren dem geneigten Publikum das Ergebnis unserer Selbstbetrachtung. Spot on:

Spot on: Selfie von Frau Indica und mir

An Tag zwei unserer Kulturausflugsplanung in die Hamburger Kunstwelt standen die Deichtorhallen auf dem Programm. Die steuern Frau Indica und ich – genau wie die Kunsthalle – in regelmäßiger Tradition an. Dieses Mal, um die schon viel gelobte Ausstellung «Augen Auf! 100 Jahre Leicafotografie» zu besuchen. In dieser der ersten Kleinbildkamera der Welt gewidmeten Ausstellung einen Schnappschuss mit dem iPhone zu machen, ist kein Frevel, sondern in crossmediales Augenzwinkern. Ich konnte mir selbiges nicht verkneifen:

Ausstellung '100 Jahre Leica' in den Deichorhallen

Falls ihr jetzt glaubt, es wären keine Besucher da gewesen, dann irrt ihr. es war sogar recht voll und manchmal musste man in andere Ecken abbiegen, weil die chronologisch folgenden Bildreihe stark bevölkert war. Ich habe für obiges Foto lediglich einen besonderen Moment der menschenleere abgepasst. Man möchte außerdem nicht ungefragt Menschen zeigen. Einen Menschen aus der Ausstellung zeige ich euch aber. Von hinten aufgenommen, beim konzentrierten Blick auf die Fotokunst, achtfach unterschiedlich getönt und einmal im Original – Frau Indica:

Bildbetrachterin Frau Indica

Kurator Hans-Michael Koetzle über die Faszination Leica und die Ausstellung, die bis zum 11. Januar 2015 im Haus der Photographie der Deichtorhallen Hamburg zu sehen ist:

Die Ausstellung gibt tatsächlich auf faszinierende Weise einen Einblick in hundert Jahre Leica-Fotografie und zeigt sehr gut, wie die technische Entwicklung der Kamera auch das Fotografieren verändert hat. Sehenswert sind auch die Werkstattfotos und die frühen Planungsskizzen und -zeichnungen zur Kameraentwicklung. Die Fülle der mehr als 500 Fotografien und die ausführlichen Textinformationen erschlagen einen zwar geradezu, aber wenn man – wie Frau Indica und ich es taten – eine ausgedehnte Pause im Café einlegt, kann man das Bildpensum schaffen ohne am Ende nur noch geplättet um die Ecken zu huschen. Apropos „um die Ecken“: ich verliere ja in den labyrinthischen Winkeln der Deichtorhallen gerne mal die Orientierung. Doch in Momenten des Zweifels bewies Frau Indica, dass sie den Überblick behielt und wies den Weg, was als nächstes der Betrachtung und ab und an auch der respektvoll spaßigen Kommentierung unterzogen werden könnte.

Hier ein paar Kostproben, was in der Ausstellung entdeckt werden kann. Zum Beispiel James Dean, so wie man ihn weniger kennt, vom Fotojournalisten Dennis Stock als Landei aufgenommen, einmal wenigstens mit der typischen Kippe in der Schnute:

james-dean-leica

Und dann Brigit Bardot, mit dem Foto aus einem meiner Lieblingsfilme, Le Mépris von Godard. Nicht von mir so unscharf aufgenommen, sondern von Francois Fontaine aus dem Zykus «Silenzio! Mémoires de cinéma. 2012»:

Francois Fontaine: Brigitte Bardot

Für mich als Hispanisten natürlich sehr interessant, wenn auch leider mit nur wenig Exponaten dokumentiert, das Thema Leica in Spanien:

Leica in Spanien

Ein Exemplar der Leica-Ausstellung hat mein besonderes Interesse als Saarländer geweckt: Robert Capa war 1934 im Saarland und hat diese Aufnahme der Völklinger Hütte gemacht, die im VU Magazine Nr. 347 vom 7. November 1934 abgedruckt wurde:

Robert Capa: La Sarre

Die Fülle an Informationen und Eindrücken haben wir gestern Abend bei einem gemütlichen Plausch im Café Westwind verarbeitet und gleichzeitig ausklingen lassen. Ich danke Frau Indica mit diesem Stillleben für die ausgesprochen angenehme Begleitung in die Hamburger Museumswelt und die gleichsam inspirierenden wie intensiven Kulturbetrachtungen mit crossmedialem Augenzwinkern:

stilleben-westwind

1 Kommentar zu „Meisterwerke in neuem Licht und crossmediales Augenzwinkern“

  1. Pingback: Die Evolution des Museumsbesuchs zum persönlichen Erlebnis | Text & Blog

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