Prozess des Sozialen Wandels ist in Spanien nicht mehr aufzuhalten

Ich berichte hier im Blog – im Gegensatz zu den Print- und TV-Medien in Deutschland – von Anfang an über die Proteste in Spanien. Und zwar in der Ausführlichkeit und durch Verlinkung der relevanten Quellen, wie es der Bedeutung dieses Phänomens entspricht, das in Spanien alles, aber auch wirklich alles, auf den Kopf stellt. Es wird wieder mal Zeit, einige der wichtigen Quellen, die ich fortlaufend auf Twitter und in meinem Mister-Wong-Account teile, hier im Blog zusammen zu fassen.

Vornweg einer der besten Artikel der letzten Tage. Veröffentlicht im Tagesspiegel. Geschrieben hat ihn der in Spanien und Brasilien lebende Publizist Bernardo Gutiérrez, (mit hervorragendem Blog Desde Alfa Centauro, auf Twitter: @bernardosampa), übersetzt wurde er von Philipp Lichterbeck: Jugendproteste in Spanien. Yes, we camp. Dort heißt es etwa:

Zum politischen, digitalen und ökonomischen Widerspruch gesellte sich der demokratische. Auf Spaniens Plätzen wird weiterhin gezeltet. Junge. Erwachsene. Linke. Der eine oder andere konservative Wähler. Doch die Parteien erwähnen nicht einmal die Bewegung „15M“, die sich dank des Internets schnell internationalisiert hat. Während die Bewegung ein Referendum über die Rettung der Banken mit Steuergeldern fordert, behaupten die Politiker: „Das System funktioniert.“ Die Hellsichtigen verstehen die Spanishrevolution als Avantgarde auf dem Weg zum politischen System 2.0. Es wird partizipativer und demokratischer sein als das bisherige. Zurzeit wird im Netz die Wikipartei geboren. Gleichzeitig aber veranstaltet die spanische Volkspartei Pressekonferenzen ohne das Recht auf Nachfragen. Die Politik panzert sich. Gegen das, was draußen langsam wächst und gedeiht.

Noch stärker als bei uns, versuchen natürlich auch die konservativen Medien in Spanien, vorneweg die staatlichen, wenn möglich weg zu schauen oder die Proteste als orientierungs- oder haltlos zu diskreditieren. Ich spreche dabei gar nicht von dem üblen rechtsextremen Propagandasender Intereconomia TV (kritische Rezension auf Pues vaya tele, Sender dort verlinkt). Nein, auch beim staatlichen Sender TVE ist das zu sehen. Klar, sie berichten über die Proteste, geht ja auch nicht anders, die Leute sind ja auch nicht blöd und würden sich wundern, dass ihre Plätze belagert sind und nichts davon in den Nachrichten käme. Um so schöner ist dieser kleine Vorfall aus der gestrigen Champions-League-Berichterstattung von TVE, als ein live berichtender Reporter plötzlich von Protestschildern in die Kamera haltenden Demonstranten überrascht wurde. Schnell wurde auf andere Bilder umgeschaltet:

Wer darüber hinaus die gestrigen Solidarbekundungen von der Madrider Puerta del Sol hin zu ihren Mitprotestierenden in Barcelona gesehen hat, bekam einen Eindruck davon, wie die landesweite Solidarität in Spanien ganz neue Formen annimmt. Eine Karrikatur von Luis Davila mit dem Titel Paradojas, die gestern rasche Verbreitung über Twitter fand, bringt sehr schön auf den Punkt, dass die neu soziale Bewegung in allen Regionen Spaniens stattfindet und zu einer nationalen Versöhnung der ansonsten auf ihre Eigenständigkeit pochenden Autonomías führen wird, die so bis vor Kurzem noch undenkbar schien. Zum besseren Verständnis der Karrikatur: Bildu ist ein baskisches Wahlbündnis der Parteien Eusko Alkartasuna und Alternatiba Eraikitzen für die Kommunal- und Regionalwahlen vom 22. Mai 2011. In der Sprechblase steht: «Aber ging es nicht darum, die Gewalt zu verurteilen?». Bild unbedingt in groß betrachten (Klick):

Aber ging es nicht darum, die Gewalt zu verurteilen?. Karrikatur von Luis Davila

Unabhängig welche Entscheidung die Asamblea (Versammlung) auf der Puerta del Sol heute fällen wird (siehe «Der Tag der Entscheidung» von Irena Lozano: El día decisivo de #acampadasol), dieser Protest der Massen wird weiter gehen. In welcher Form auch immer. Eine durchgehende Zeltbelagerung der öffentlichen Plätze ist dabei sicher nicht das Mittel der Wahl. Ich gehe davon aus, das die Acampadas vorerst langsam auslaufen werden. Der Protest, das Einfordern von wirklichen Reformen, angefangen bei einer – wie berichtet – dringend notwendigen Wahlrechtsreform, die Untersuchung der politischen Verantwortung für die eines Rechtsstaats unwürdigen Polizeiverbrechen an der Plaza Catalunya (die Petition gegen den katalanischen Innenminister Felip Puig hat bereits über 60.000 Unterschriften). All das wird ganz ohne Zweifel weiter gehen.

Der Prozess, den Democracia Real Ya (Wahre Demokratie jetzt) angestoßen hat, ist nicht mehr aufzuhalten. Große Teile der spanischen Bevölkerung solidarisieren sich, weit über die direkt von der Krise betroffenen Bevölkerungsschichten hinaus, und vor allem weit über die Jugend hinaus, die diesen Prozess über das Internet angestoßen und auf die öffentlichen Plätze und in die netzfernen Kreise hinausgetragen hat. Man schaue nur in die Gesichter an von Acampadasol. Las caras del cambio – Die Gesichter des Wandels:

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert