Sarajevo: Arbeits- und Erlebnisbericht aus einer faszinierenden Stadt

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Vor einer Woche bin ich von meiner kurzen Dienstreise aus Sarajevo zurückgekommen. Wie ich hier versprochen hatte, soll es noch einen weiteren Artikel dazu geben. Hier ist er:

Das Goethe Institut Sarajevo, das mich zum Vortrag auf die dortige BAM Konferenz einlud, hat wirklich einen großartigen Job gemacht. Namentlich nennen möchte ich hier Amira Zvizdić und Dragana Lasica, die meinen Aufenthalt nicht nur bestens vorbereitet, sondern auch vor Ort ganz großartig organisiert hatten. Nach Ankunft und Begrüßung im Goethe Institut am Freitag-Nachmittag wurde ich von einer Touristenführerin, der sympathischen und sehr gut deutsch sprechenden Belma, durch die Altstadt von Sarajevo geführt. Was mich an dieser individuellen Führung so begeistert hatte, war die Kombination aus faktenreicher und doch sehr persönlicher Vorstellung der bosnischen Hauptstadt, die manche ob des Aufeinandertreffens der verschiedenen Religionen das Jerusalem Europas nennen. Belma hat hier nicht nur Zahlen und Fakten aufgezählt, sondern hat mir sehr gut nachvollziehbar – auf meine vorsichtigen Fragen hin, auch aus ihrer privaten Sicht der Dinge – erklärt, wie es ist, in einer Stadt zu leben, die im vergangenen Jahrzehnt unter einem grausamen Krieg gelitten hatte. Die Spuren des Krieges sind natürlich noch zu sehen in der Stadt, auch wenn sehr rasch vieles renoviert wurde.

Aufs Äußerste bewegt war ich, als ich die Bosnische Nationalbibliothek (siehe Foto oben) gesehen hatte, die im Krieg von den Serben mit Phosphorbomben beschossen wurde (weil ganz bewusst die Kulturschätze der Bosnier zerstört werden sollten). Sehr bewegend, was mir Belma hierzu berichtet hatte: dass die Leute in die brennende Bibliothek rannten und halfen, so gut sie eben konnten, Bücher vor dem Verbrennen zu retten.

Ehe ich weiter berichte, vorneweg das wichtigste, wonach mich auch die meisten gefragt haben, die Bilder: Alle Fotos sind in diesem Album auf Flickr zu sehen (Fragen zu einzelnen Fotos beantworte ich gerne dort in den Kommentaren). Hier als Diashow:

Das Programm für den verbleibenden Nachmittag und Abend – ehe ich am nächsten Morgen meine Pflicht erfüllen musste, und meinen Vortrag halten sollte – war dicht gepackt und trotzdem äußerst angenehm: Wir waren in einem Fitness-Restaurant essen, bei dem man sogar durch die Decke nach unten ins Schwimmbad unter dem Restaurant schauen konnte. Das West Wood im Hotel Central Sarajevo machte es möglich. Mein Blick ins darunter liegende Schwimmbecken ist hier zu sehen.

Damit der Artikel nicht zu lang wird, kürze ich etwas ab. Abends ging’s ins Nationaltheater, aufgeführt wurde ein Stück aus Deutschland, Hell on Earth, von Constanza Macras Compagnie aus Berlin Neukölln (Info): Kurzum, ich war hin und weg. Tosender Applaus auch von dem interessierten bosnischen Publikum vor Ort. In diesem Video – auch wenn es nicht von der Aufführung in Sarajevo stammt – bekommt man einen Eindruck von der mitreißenden Spielfreude der Truppe:


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Am nächsten Morgen hieß es früh aufstehen. Auf Twitter musste ich die Frage beantworten, wieso ich dies schon um 7 Uhr mache. An einem Samstag. Nun, der auf englisch gehaltene Vortrag «Virtuelle Fachbibliotheken und ihre Erweiterung im Kontext von Web 2.0 – Konzept und Realisierung von cibera» war auf 8:30-10:30 terminiert. Ich war ja schließlich nicht zum Spaß in Sarajevo, sondern eben um mein Wissen zum Thema «ViFas und Web 2.0» mitzuteilen. Dies hab ich dann auch zu früher Stunde vor der interessierten Zuhörerschaft der BAM Konferenz gemacht, die Folien gibt es hier zu sehen:

 

Nach dem Vortrag ging es mit einer Gruppe von Kongressteilnehmern, Bibliothekare aus Süd-Ost-Europa, zu einer Exkursion in die bosnischen Berge. Nach Travnik, in die Heimatstadt des bosnischen Literaturnobelpreisträgers Ivo Andrić und – für mich besonders interessant – in eine Moschee. Ich war zum ersten Mal in einer solchen. Wir haben selbstverständlich die traditionellen Vorschriften beachtet (Schuhe aus, Frauen verhüllt). Im Innern sind wir dann von einer wunderschön bemalten Moschee mit einem nahezu märchenhaften Interieur belohnt worden. Schaut Euch unbedingt die Fotos (unteres Drittel im Flickr-Album) an, auch wenn die nicht die beste Qualität hatten (ich habe nur mit den iPhone Aufnahmen gemacht, aber man kann die beeindruckende Atmosphäre erahnen, die diesem Ort innewohnte). Auch beeindruckend: die gerahmten Bilder im Innern, mit dem fürs Arabische Typischen: mit Schrift “gemalte” Motive. Hier ein Schiff:

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Danke Davorka fürs Übersetzen und die Schilderungen der Arbeit in der Bosnischen Nationalbibliothek während des Ausfluges. Auf dieser außergewöhnlichen Tagesexkursion, bei der ich schon im Bus die Schönheit der bosnischen Berge und den Humor der Exkursionsteilnehmer kennen lernen durfte, gab es außerdem neben Kultur und Natur auch noch die leckeren Cevapcici zu entdecken. Auf deren Existenz ich sogar via Twitter hingewiesen wurde, was ich aber erst abends im Hotel gelesen hatte, wo ich dank WLAN-Zugang auch via Twitter berichten konnte. Die Diskussionen wurden schon im Bus lebhaft geführt, ob denn die Cevapcici aus Travnik besser seien, oder die aus Sarajevo. Ich verkündete noch in Travnik, ich werde den Vergleich noch am selben Tag machen können, da ich beabsichtigte, die Spezialität sowohl am Nachmittag auf der Exkursion, als auch am Abend zurück in der Hauptstadt zu essen. Und ich würde dann Bescheid geben, welche besser wären.

Es kam dann aber anders, denn im Nacionalni Restauran Inat Kuca (Foto) am Abend in Sarajevo aß ich dann doch etwas anders, eine Spezialität mit verschiedenen Zutaten, das Gericht hieß nach meiner Erinnerung Sahan (ich mag mich da irren, was den Namen angeht [Update: Name korrigiert, statt Sahun nun den korrekten Namen Sahan eingetragen]). Was ich jedoch ganz sicher weiß: sowohl die Cevapcici in Travnik, als auch das bosnische Fleischgericht im kleinen Nationalrestaurant waren sehr, sehr lecker. Am letzten Abend war ich nach dem gemeinsam Essen mit Amira und ihrem sympathischen Mann Faris in der Altstadt unterwegs und dort verdanke ich den beiden nicht nur angenehme Gespräche zum Ende meines Aufenthaltes, sondern ich verdanke Faris das Kennenlernen eines außergewöhnlichen Getränkes, das – wie ich salomonisch meinte – nicht unbedingt zu meinem neuen Lieblingsgetränk werden würde, das aber sehr interessant schmeckte: Bosa, ein Getreidegetränk, das im Gegensatz zur Beschreibung in der Wikipedia aber keinen Alkohol enthielt. Wie gesagt ungewöhnlich, aber lecker.

Was die bewegenden Berichte angeht zu der schwierigen Zeit, wie die Menschen den Krieg 1992-1995 und das, was danach kam, erlebt haben, bitte ich um Euer Verständnis, dass ich sie hier nicht wiedergebe, da die so persönlich waren, dass ich das Anvertraute natürlich hier nicht ausbreiten möchte. Generell kann ich aber sagen, dass die Bosnier sehr humorvolle, lebenslustige Menschen sind. Eine Eigenschaft, die sicher dabei hilft, das grausame Geschehen zu verarbeiten und soweit zu vergessen, dass ein nach vorne orientiertes Leben möglich ist. Und das ist es durchaus in dieser wunderbaren Stadt, auch wenn noch viele Spuren des Krieges zu sehen und zu spüren sind.

Zum Abschluss des Artikels noch der Hinweis auf mein Hotel, das ich jedem, der einmal nach Sarajevo reisen möchte, nur empfehlen kann. Ich habe mich im Hotel Art Sarajevo äußerst wohl gefühlt und es hat eine Fülle von Vorteilen (neben dem WLAN, was mir natürlich auch sehr wichtig war): Es liegt mitten in der Altstadt, ganz in der Nähe des alten orientalischen Basar, von dort aus sind es auch nur jeweils wenige Meter zu den großen Kirchen der unterschiedlichen Religionen. Und es gibt ein zugehöriges Café im österreich-ungarischen Stil, mit leckeren Torten (die ich nur gesehen aber – ehrlich! – nicht probiert hatte). Genau genommen muss man sogar durch das wunderschöne Café, um in den Hotelbereich zu wechseln. Der Charme des kleinen Hauses ist überhaupt nicht vergleichbar mit den großen, oft anonym wirkenden Hotels. Also mein Tipp, Hotel Art Sarajevo.

Danke an Amira und Dragana vom Goethe Institut Sarajevo, danke an Nadina Grebovic von der BAM-Konferenz, und danke an all die anderen, die ich in den zweieinhalb Tagen kennen lernen durfte. Ich werde sicher zurückkehren nach Sarajevo, auch wenn ich nicht – was einem Aberglauben zufolge zur Rückkehr führt – vom Wasser des Brunnens von Baščaršija getrunken habe, der schon in meinem ersten Artikel zur Reise in die bosnische Hauptstadt zu sehen war. Vielleicht komme ich mal zum Filmfestival Sarajevo zurück, das immer im August stattfindet. 😉

15 Kommentare zu „Sarajevo: Arbeits- und Erlebnisbericht aus einer faszinierenden Stadt“

  1. Reisen zu dürfen und zu können ist wahrlich ein Geschenk – und zeigt auch immer, wie klein und fast bedeutungslos unsere Kenntnis über das Leben ist. Reisen öffnet Augen und Herzen, lässt uns nachdenken und zeigt uns bei allem Neuen auch unsere Gefilde in immer wieder in neuem Licht. Wir fahren weg, um wenigstens für ein paar Lebensmomente erleuchtet und geläutert wiederzukommen. Wer reist, sieht nicht nur fremde Länder, trifft nicht nur neue Menschen – wer reist, unternimmt auch einen Versuch, sich selbst zu verstehen…

    Viele Zeitgenossen verreisen – Du bist gereist – und hast ein paar Momente Deiner Reise mit uns begeistert geteilt…

  2. Ich schließe mich meinem Vorredner an. Reisen zu dürfen und zu können ist ein ausgesprochen wertvolles Privileg.

    Danke, dass du deine Eindrücke mit uns teilst.

  3. @Jekylla: Ja, so ist es. Wobei ich den schönen Kommentar von r|ob nur exemplarisch gelobt habe, und mich selbstverständlich – wie alle, die ein Blog schreiben – über alle Kommentare freue. 😉

  4. Ich schließe mich den Dankesworten für diesen ausführlichen und interessanten Reisebericht an. Sehr schön auch die fotografischen Impressionen, die Du von dieser Reise mit zurück gebracht hast!

  5. Was ist Reisen? Ein Ortswechsel? Keineswegs! Beim Reisen wechselt man seine Meinungen und Vorurteile – so sagt Anatole France, französischer Erzähler.
    Deinen Reise- und Erlebnisbericht finde ich inspirierend.
    Danke und Grüße aus Bosnien!

  6. @Liisa: Danke. Gar nicht auszudenken, was für schöne Bilder ich hätte zeigen können, wenn ich meine Canon eingesetzt hätte (die ich sogar dabei hatte, aber die ich irgendwie nie in den richtigen Momenten mitgenommen hatte). So musste halt das iPhone (mit der leider schwachen Kamera) herhalten.

    @Arna: Danke, das freut mich besonders. Schade, dass ich Deinen Tweet nicht schon in Travnic las, sonst hätte man sich ja kurz treffen können.

  7. Toll, dass du dank deines Jobs und deiner Fachkompetenz zu solchen Reisen eingeladen wirst.
    Toll, dass du die Arbeit dann mit dem Angenehmen verbinden kannst (und du so offen und neugierig bist, möglichst viel “mitzunehmen”).
    Und gaaaaanz toll, dass du dir die Mühe machst, uns Daheimgebliebenen einen Eindruck bzw. viele Eindrücke zu vermitteln!

    Anderes Thema: anhand der Folien ist es mir mal wieder aufgefallen: halte das cibera-Logo für sehr gelungen.

  8. Vielen Dank fur die schonen Worte, und es freut mich wirklich sehr dass ich “meine” Stadt so zeigen konnte wie sie ist…eine Stadt die 2 Weltkriege zu bewalltigen hatte, wobei jedoch der letzte (92-95) viel mehr Schmerz verursacht hat, aber auch eine Stadt die nie ihr Lacheln verliert!
    …einfach nur leben…
    🙂

  9. @Belma: Welch große Freude, Deinen Kommentar hier zu lesen. Damit machst Du meinem kleinen Bericht eine große Ehre. Ich danke Dir nochmals herzlich, dass Du mir Sarajevo und die Einstellung der Menschen dort, die ich in der kurzen Zeit schon gelernt habe zu bewundern, so gut gezeigt hast. Ja, das trifft es, Sarajevo ist nicht nur eine Stadt gekennzeichnet von Kriegen, es ist eine Stadt, in der die Menschen das tun, was sie überall sonst auch tun: leben! Und leben lässt es sich dort wirklich gut, wie ich erfahren konnte!

  10. Pingback: San Sebastián: Rückblick auf das Filmfestival » Beitrag » xtranews Nachrichten

  11. Dieser Blog ist zwar schon ein etwas älter, aber diesen Sommer hat Belma auch mich durch Sarajevo geführt – und ich war genauso angerührt und begeistert. Sarajevo – eine Stadt, die mich nicht losgelassen hat!

  12. @Dorothee: Dieses Blog ist fast acht Jahre alt, obiger Artikel nun bald drei Jahre her. Trotzdem freue ich mich sehr über diese Rückmeldung und darüber, dass wir offenbar ähnliche Einschätzungen sowohl zur Arbeit Belmas als auch zu Sarajevo als Stadt haben. Vielen Dank für den Kommentar.

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