Ich habe ja schon angekündigt, dass ich etwas zu den Filmen in San Sebastián schreiben werde. Beginnen möchte ich mit einem der umstrittensten Filme des Wettbewerbes, der heute in Spanien in den Kinos startet und auch im Internet zu sehen ist: Jaime Rosales’ ETA-Film «Tiro en la cabeza» (Kopfschuss).
Das ist der Trailer des Filmes, der mich – ich nehme es vorweg – sehr enttäuscht hat, war ich doch so begeistert von Jaime Rosales’ (Barcelona, 1970) ersten beiden Filmen «La Soledad» (wunderbarer Film, den ich ausführlich hier im Blog vorgestellt hatte) und dem harten Erstlingsfilm «Las Horas del día».
Paul Ingendaay hat bereits während des Festivals eine geradezu begeisterte Rezension zu Rosales drittem Film geschrieben, welche die FAZ am 24.9.08 veröffentlicht hat, deren Einschätzung ich mich aber so nicht anschließen kann:
Bewegungsprotokoll einer Bluttat.
Rosales hat basierend auf dem am 1.12.2007 tatsächlich passierten Vorgang, dass ETA-Terroristen zwei Guardia Civiles in der französischen Kleinstadt Capbreton erschossen haben, einen im Kino nur schwer zu ertragenden Film gemacht, bei diesen Aufführung in San Sebastián das Publikum in Scharen das Kino verlassen hat. Der Film hat keine (!) Dialoge. Nichts. Außer einer kurzen Polizistenbeschimpfung auf baskisch unmittelbar vor deren Erschießung. Doch bis es dazu kommt und auch wieder danach, sieht man die handelnden Personen immer aus der Ferne, per Kamerazoom herangeholt, aber man hört keinen Ton. Die erste Viertelstunde glaubte ich noch ein filmisches Experiment, auf das man sich eben einlassen müsse, und hegte die Hoffnung, aus der alptraumhaften Situation irgendwann erlöst zu werden. Doch nix. Immer weiter Bilder aus der Ferne, durch Fensterscheiben in Wohnungen hineingefilmt, ohne einen Ton zu verstehen. Mühsam hatte ich versucht, die gezeigten Dialoge von den Lippen der agierenden Personen abzulesen. Manche mögen sagen, ein mutiges Experiment, die Filmkritik hat ihn in San Sebastián mit dem Fipresci-Preis belohnt. Für mich ist «Tiro en la cabeza» jedoch ein cineastisches Desaster, zu dem ich einfach trotz bestem Willen keinen Zugang fand. Ich schaue doch nicht fast 90 Minuten einen Film, ohne die Personen zu verstehen. Und dass Rosales meint, er böte mit seinem Film eine Möglichkeit zu Lösung des Terrorproblems im Baskenland, entzieht sich meinem Verständnis. Tut mir leid. Alles, was er intellektuell über seinen Film sagt, ist durchaus nachvollziehbar: Gegner verstehen, trotz unmenschlicher Handlung den Menschen sehen, Konfliktlösung dadurch ermöglichen. Kann man alles nachvollziehen. Muss ich als Regisseur dazu jedoch die Zuschauer derart quälen? Rosales nennt es “den Zuschauer respektieren”, ihm nichts vorgeben. Ich habe nach spätestens 20 Minuten in diesem Film nur gelitten.
Wer sich trotzdem diesen Film ansehen möchte, hat sogar die Möglichkeit dies im Internet zu tun. Als Novum in der spanischen Kinolandschaft gibt es zum ersten Mal die Möglichkeit, parallel zum Filmstart in den Sälen, den Film auf dem Portal filmin.es zeitgleich zu den Ausstrahlungsterminen im Kino und begrenzt auf je 100 Personen gleichzeitig zum Preis von 3,40 € zu sehen. Momentan täglich zu folgenden Terminen: 16:00 18:00 20:00 22:00.
Siehe dazu auch den Artikel auf El País: «‘Tiro en la cabeza’ se estrenará en Internet a la vez que en los cines».
Weitere Informationen zum Film:
- Video-Interview mit Jaime Rosales auf El País (4 min.): «He hecho un filme sin ideología»
- Interview mit Jaime Rosales auf YouTube/Argia mit baskischen Untertiteln (5 min.)
- Homepage des Films: tiroenlacabeza.com
- Julia Macher, Deutsche Welle: Wie die ETA das spanische Kino erobert
- Rüdiger Suchsland, artechock: Die Banalität des Terrors