Ich bin nicht der Ansicht Hans-Ulrich Gumbrechts, dass die Neu-Übersetzung von Klassikern etwas mit einer «Ebbe in der literarischen Produktivität», wie er es nennt, zu tun hat. Lesenswerte Literatur, spannende und gute Geschichten werden nach wie vor geschrieben und veröffentlicht, und ich finde, dass das eine – die Neuübersetzung der Klassiker – nichts mit dem anderen – dem Angebot an aktueller Literatur – zu tun hat.
Nichtsdestotrotz ist es natürlich höchst erfreulich, dass suboptimal bis schlecht übersetzte Werke der klassischen Literatur durch Neu-Übersetzungen endlich die Wertschätzungen erfahren, die sie verdienen. In der Freude hierüber gehe ich mit dem Romanisten und Komparatisten konform. Gumbrecht, der im «Department of Comparative Literature» an der Universität Stanford in Kalifornien unterrichtet, führt in seinem heute in «WELT Online» erschienenen Artikel «Das Echo des Originals» aus:
Zum Typus dieser Bände gehören ausführliche Kommentare, Glossarien und editorische Notizen. Oft geraten die Erläuterungen über einzelne Wörter und Referenzen zu dichten kulturhistorischen Vignetten, wie etwa in der erwähnten Dostojewskij-Ausgabe («Idiot»), wo sich die Etymologie des russischen Wortes für „Bahnhof“ („woksal“ nach dem englischen „Vauxhall“) zu einer kleinen Geschichte der europäischen Vergnügungsindustrie entwickelt. Die Leser des neuen „Moby Dick“ können sich beim Studium eines „Glossars ausgewählter nautischer Begriffe“ zu veritablen Spezialisten in der Geschichte der Seefahrt fortbilden.
[via Perlentaucher]