Weltliteratur auf deutsch nur durch Selbstausbeutung

Walt Whitman Es ist eine Schande, wie schlecht literarische Übersetzungen in Deutschland bezahlt sind. Beredtes Zeugnis davon legt dieser taz-Artikel über die deutsche Übersetzung von Walt Whitman durch den Übersetzer Jürgen Brôcan ab:

„Man lebt einfach sehr, sehr bescheiden, auf geringstem Niveau“, knurrt er. „Tja, und es gibt Monate, wo man froh ist, wenn man den Hartz-IV-Satz erreicht.“

Das gilt für viele Übersetzer. Nirgendwo werden so viele Bücher übersetzt wie in Deutschland, der Qualitätsstandard ist hoch. Ohne Idealismus und Selbstausbeutung ist in diesem Metier wenig zu machen. Brôcan ist nur ein Beispiel. Ulrich Blumenbach, der gefeierte Übersetzer von David Foster Wallace‘ 1.500-Seiten-Roman „Unendlicher Spaß“, hat im Vorspann der deutschen Ausgabe den Satz geschrieben: „Der Übersetzer dankt dem Deutschen Übersetzerfonds, der diese Arbeit mit zwei umfangreichen Stipendien gefördert hat, sowie seinem Vater Arnold Blumenbach, ohne dessen mäzenatische Zuwendungen er die Übersetzung nicht hätte abschließen können.“

Brôcan hat keinen Mäzen. Er besorgt sich Sekundärliteratur, ein paar antiquarische Bücher aus Amerika, Whitmann-Biografien, Whitmann-Briefe, er kauft nicht zu viel ein. Er muss das alles selber bezahlen. Er war noch nie in Amerika, er würde gerne mal hinfahren, schließlich übersetzt er gerade einen der wichtigsten amerikanischen Lyriker. Aber für so eine Reise reicht sein Budget nicht.

Weiter in dem lesenswerten taz-Artikel Schuften fürs Zauberbuch, in dem Kirsten Küppers und Dirk Knipphals die Wege eines engagierten Übersetzungsprojektes vom Verleger Michael Krüger (Hanser), über den Lektor bis hin zu dem sich ausbeutenden Übersetzer eindringlich schildern.

Der VdÜ, der Verband der deutschsprachigen Literaturübersetzer, dessen Website ich für den Verband seit drei Jahren aktualisiere, hat zum Thema Unterbezahlung der Übersetzer, das ja diese Woche durch das BGH-Urteil zur Erfolgsbeteiligung für literarische Übersetzer in den Fokus von Presse und interessierter Öffentlichkeit gerückt ist, eine eigene Seite unter dem Titel Vergütungsstreit eingerichtet:

Ohne uns würde es keine Weltliteratur geben – jedenfalls nicht auf Deutsch. Aber wenn wir angemessen bezahlt werden wollen, müssen wir bis vor den Bundesgerichtshof ziehen. Lesen Sie hier, warum.

Auch Walt Whitman gehört unbestritten zur Weltliteratur. Dank Jürgen Brôcan sind seine «Leaves of Grass» – die Jürgen Habermas mal sein «Zauberbuch» genannt hat, so lernen wir im taz-Artikel – im Band Grasblätter (erschienen bei Hanser) ab sofort auch auf deutsch zu lesen.

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