Macht der Lobbyisten gefährdet die Demokratie

Harald Schumann hat im Tagesspiegel einen sehr beeindruckenden Artikel veröffentlicht. Er warnt darin eindringlich davor, dass es mit dem von der aktuellen Regierung auf die Spitze getriebenen Lobby-Einfluss so nicht mehr weitergehen kann. Fassungslos mussten wir alle zur Kenntnis nehmen, wie sich die Regierung Merkel/Westerwelle von der Atomlobby über den Tisch ziehen ließ. Auch die Vorgängerregierungen mit SPD-Beteiligung haben sich auf diese dem Gemeinwohl entgegenwirkende gefährliche Nähe von Großkonzernen und Regierenden eingelassen. Das zeigt sich auch darin, dass immer mehr Politikaussteiger von der Privatwirtschaft mit lukrativen Posten in Branchen belohnt werden, für die sie zuvor wohlwollende Politik betrieben haben. Schumann fordert eine Stärkung der Parlamentarier, um die Erosion der Machtkontrolle des Parlamentes zu bremsen. Nun ist der Artikel leider nicht in der BILD erschienen, da würde er auch kaum gelesen, da er mehr als 5 Zeilen Text enthält, sondern im Tagesspiegel. Wer noch längere Texte aufnehmen kann, lese sich das bitte durch:

Verkommt Deutschland also zur Lobby-Republik? Betreiben finanzstarke Interessengruppen eine „schleichende Unterwanderung der demokratischen Entscheidungsfindung“, wie die Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt beklagte? Der Schluss liegt nahe und erklärt doch wenig. Schließlich ist das Wirken der Gesetzeseinflüsterer in der Lobby, der Eingangshalle der Parlamente, so alt wie die Demokratie selbst. Das Werben für Interessen aller Art bei Volksvertretern und Regierenden gehört seit je genauso zum demokratischen Prozess wie Wahlen und Parlamente. Auch Umwelt- oder Sozialverbände betreiben Lobbyismus. Und doch ist das Unbehagen über den wachsenden Einfluss ungewählter Interessenvertreter auf das Handeln der Regierenden nur allzu berechtigt. Denn es sind eben nicht Greenpeace oder die Arbeiterwohlfahrt, sondern Wirtschaftsverbände und Konzerne, deren heimliche Einflussmacht immer größer wird.

Harald Schumnann: Lobbyisten – Die Einflüsterer der Republik, erschienen im Tagesspiegel, 11.12.2010.

Ich verweise bei der Gelegenheit noch mal auf die sehenswerte Dokumentation Lobbykratie – Die inoffizielle Macht (3sat – Scobel, Ausstrahlung 02.09.2010), in der sich der Wissenschaftsjournalist Gert Scobel auf 3sat eingehend mit den Gefahren des überhand nehmenden Einflusses der Lobbyisten auf eine funktionierende Demokratie beschäftigt hat.

[via @hjbove]

9 Kommentare zu „Macht der Lobbyisten gefährdet die Demokratie“

  1. Dieses Thema kann man nicht oft genug betonen. Partikularinteressen, wie sie Konzerne und Wirtschaftsverbände im Allgemeinen vertreten, sind generell leichter durchzusetzen als diejenigen Interessen, die mit einem großen dem Gemeinwohl dienlichen Aspekt zusammenhängen (wie z. B. der Klimaschutz). Abgesehen davon ist wohl das Problem, dass man bei der Gestaltung moderner Demokratien die extensive Macht der Wirtschaftsverbände nicht gezügelt hat (kein checks & balance für Lobbyismus). In Verbindung mit hoher Kaptialkonzentration, die Konzerne um ein vielfaches leichter für die Vertretung von Partikularinteressen beschaffen können, denn schließlich ist guter Lobbyismus teuer und muß dabei nicht einmal im entferntesten damit zu tun haben, entfaltet sich ein massives Ungleichgewicht der Kräfte, die auf die Meinungs- und Entscheidungsfindung einwirken können.

    Wenngleich ich deine Hinweise in Bezug auf den unverschämten Lobby-Einfluss auf die Entscheidungen der Gegenwarts- und Vorgängerregierungen teile, möchte ich nur ganz kurz an die sogenannten Hart-IV-Gesetzte erinnern. Wer einen Blick auf die Personalliste der zuständigen Kommission wirft, wird sich sehr schnell derer Einseitigkeit bewusst.

    Danke für deinen tollen Artikel.

  2. Guten Morgen lieber Markus Trapp,

    es kommt auf die Lobby an, die ihren Einfluss geltend macht. Es kommt außerdem auch darauf an, wie die Öffentlichkeit, in diesem Fall wohl auch die wahlberechtigte Öffentlichkeit damit umgeht. Nüchtern betrachtet erleben wir in diesen Jahren einen radikalen Umbruch. Waren die 68-er ein Umbruch von gewachsenen Werten, war das neue politische System der allten Bundesrepublik ein Umbruch, was den bis dahin überwiegend gewohnten Umgang mit der Deomkratie in Deutschland angeht, so erleben wir heute einen dritten Umbruch, der vor allem wirtschaftliche Strukturen angreift. Am deutlichsten wird dies m.E. vor allem in Deutschland eben durch die Einflussnahme der klassischen Energieversorger, die sich gewohnt sicher geglaubte Einnahmequellen wegbrechen sehen, wir beobachten dies genauso im Pharma- und (Lebensmittel-)Chemiebereich.
    Tatsache ist, dass die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen heute so vielfältig geworden sind, dass sie in der Regel von einer Handvoll engagierter Idealisten nicht mehr überblickt werden können. Diese Situation wird von den Lobbyisten gleich welcher Richtung ausgenutzt.
    Ich bekenne an der Stelle ganz offen, dass ich, indem ich das hier schreibe, genauso Lobbyarbeit betreibe, etwa für mehr Transparenz, mehr Demokratie, für einen besser bezahlten freien Journalismus, für ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Bildung und Ausbildung, für weniger oder garnicht schadstoffbelastete Lebensmittel, für einen für Familien bezahlbaren Alltag etc etc.
    Es gibt allerdings einen entscheidenden Unterschied: Die Lobbyisten, die ihre Interessen im Spiel mit der Regierungsmacht durchsetzen, verfügen in der Regel über die größere finanzielle Macht, die sich am Ende aus dem Geld zusammensetzt, das jeder einzelne Kunde zahlt.
    Geht es um andere Felder der Lobbyarbeit sieht es eher traurig aus: Die vielfältigen Initiativen etwa im Umweltbereich konkurrieren mit ihrer Bitte um Unterstützung größtenteils ums gleiche Publikum, geht es um die finanzielle Unterstützung, sieht es noch trauriger aus.

    Ich kann dazu direkt aus zwei Feldern berichten, mit denen ich direkt zu tun habe: über Agenda-Arbeit und über Journalismus. Zum zweiten werde ich einen eigenen Beitrag in meinem Blog verfassen, zum ersten hier etwas:

    Um die ehrenamtliche Arbeit der Lokalen Agenda 21 zu unterstützen, hatte sich wenige Jahre nach der Rio-Konferenz die Deutsche Gesellschaft Agenda 21 gebildet, wenig später entstanden drei Landesverbände in Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz. Nach anfänglichen Erfolgen, die im wesentlichen durch den hessischen Landesverband mit Aktionen wie Vorstellungen der Pelletstechnologie, Umweltschulen oder diversen Schulungen für lokale Ehrenamtler zustandekamen, sackte alles urplötzlich vor wenigen Jahren zusammen. Die Gründe liegen einerseits darin, dass die meisten der inzwischen älter gewordenen Hauptakteure sich zurückgezogen haben und auf der anderen Seite im Nachwuchsbereich zwar sporadisch Interesse bestand, sich an dem einen oder anderen Projekt zu beteiligen, aber leine Lust auf dauerhafte Unterstützung bestand. Was noch dazu kam: Mangels nachwachsender Mitglieder auch keine Beiträge, deswegen weniger Aktionen, deswegen wieder weniger Gehör. Dabei lägen gerade aus der Sicht genügend Dinge auf der Straße, wo Agenda-Arbeit wieder gefragt wäre. Die Realität sieht allerdings gerade so aus, das über die Auflösung diskutiert wird, wenn sich auf Bundesebene in absehbarer Zeit nichts ändert. Es wäre an der Stelle auch vollkommen zwecklos, auf die Internetseite hinzuweisen, da diese aus eben jenen Gründen kaum gepflegt wird. Auf der anderen Seite haben es ehemalige oder noch auf dem Papier eingetragene Mitglieder mit einem gewissen politischen Einfluss verstanden, die Agenda-Arbeit für ihre politische Profilierung zu missbrauchen, so dass auch hier Sand ins Getriebe gestreut wurde. Denn per se heißt es nicht ohne Grund, dass Agenda-Arbeit keine Rücksicht auf Parteiprogramme nimmt, das hatte einigen nicht gefallen.

    Nun geht es aktuell darum, den Verband vor dem Aus zu retten, sowohl auf Bundesebene, wie die drei Landesverbände. Folglich ist das,w as ich hier gerade betreibe, also auch Lobbyarbeit – nur eben nicht in Berlin, Wiesbaden, München oder Mainz, sondern an der Wurzel. Ist das nun gut oder schlecht? Und vor allem: Zu welchem Ergebnis wird es führen?

  3. @Christoph v. Gallera: Wenn ich mich im Vorkommentar bei Tobias für dessen ausführlichen Kommentar bedankte, weiß ich gar nicht, wie ich Ihren nennen sollte. 😉 Auf Blogartikellänge mit Ankündigung eines eigenen Blogartikels haben Sie wertvolle Gedanken mitgeteilt, die sich durchaus mit den Forderungen des Tagesspiegel-Artikels decken: Lobbyarbeit an sich ist ja nichts Schlechtes. Es kommt nur zur Schieflage bei unterschiedlichen (meist finanziellen) Voraussetzungen der konkurrierenden Lobbygruppen und – das ist der Hauptkritikpunkt ! – bei fehlender Transparenz. Da muss der Hebel angesetzt werden.

  4. Pingback: links for 2010-12-12 « Sikks Weblog

  5. Leihbeamte, “Spezial”rechtsanwälte für PPPs, Aufsichtsratsposten an Expolitiker, und die ganze Rhetorik, das alles sei “normal” und “richtig” – das geht nun seit 10, 15 Jahren so. Die Nachdenkseiten haben übrigens Tonnen von Material dazu, und ich habe nie verstanden, dass die Leute sich erst dann aufregen, wenn dann Trinkwasser, Bahn, Müllabfuhr oder Energie plötzlich teurer und schlechter werden, und nicht “billiger und besser”. Leute – das ist mein und euer Eigentum, was da teils verscherbelt und zurückgemietet (oder -gekauft) wird. Wie jetzt wieder bei Mappus in BW. CDU, SPD, FDP und Grüne geen sich da auch nicht viel, alle machen mit. Warum ist das euch so egal?!

  6. Und Lobbyismus bedeutet letztlich nur privilegierten Zugang zu politischen Entscheidern für einige, während andere außen vor sind. Beispiel: INSM und Bertelsmann wollten die Bildung privatisieren, mindestens aber Studiengebühren. Studenten wollten das nicht. Entschieden wurde gegen die Studenten. Ist es nun wirklich die Lösung, einen Lobby-studentenverband zu gründen, der auch seine Lobbyisten losschickt wie Greenpeace und Konsorten?! Oder geht das vielleicht auch anders. Im Lobbyismus werden sich immer die finanzkräftigen Interessen besser durchsetzen. Das kanns ja wohl nicht sein.

  7. Lobby gefährdet nicht nur Demokratie, sondern schaltet sie in manchen Bereichen aus.
    Politiker werden gezwungen Gesetze zu erlassen die es zulassen, in Deutschland millionenfache Körperverletzungen zu legalisieren. Nicht nur das, jährlich werden durch die hochgiftige Droge Nikotin 140 000 Menschen getötet. Darunter befinden sich tausende zwangsberauchte Nichtraucher und hunderte Kinder und Jugendliche!

    Die Lobby ist so mächtig, dass sich weder Staatsanwälte, noch Richter, ja nicht einmal die Kirche zu Wort meldet, geschweige denn dagegen vorgeht! Selbst dem Papst sind die Hände gebunden! Das ist ein unglaublicher Vorgang. der in einer Demokratie undenkbar, aber wahr ist!

  8. Wenn doch – wie auch auch hier wieder völlig zu Recht – stets darauf verwiesen wird, das Problem sei nicht “der Lobbyismus” per se, sondern die Tatsache, dass für das Gemeinwohl und nachhaltige Systemänderungen engagierte Organisationen nicht über hinreichende finanzielle Macht verfügen, warum zum Donnerwetter haben wir dann immer noch keine Mehrheit für ein bedingungsloses Grundeinkommen? Das wäre meiner Meinung nach eine Lösung.

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