Festivalbericht Havanna 2018

40. Festival de Cine de La Habana 2018

Längst überfällig, und damit er überhaupt noch erscheint bei den Filmbeschreibungen in leicht verkürzer Form: nach den Fotos aus Kuba kommt hier nun endlich mein Festivalbericht von Havanna. Vor zwei Jahren beschrieb ich, warum ein Festival in Kuba unter erschwerten Bedingungen stattfindet, und zwar u.a. wegen des “Wechselspiel(s) zwischen großer karibischer Hitze und auf Kühlschranktemperaturen herunter gekühlten Kinos”. Dann folgte: “Ein Wunder, dass ich nicht krank geworden bin.”
Dieses Mal traf das Wunder nicht ein. Ich erkältete mich, war aber nach 1,5 Tagen wieder fit.

Zunächst ein paar Worte zum Festival: es durfte ein kleines Jubiläum gefeiert werden, 2018 fand das «Festival de Cine de La Habana» zum 40. Mal statt (damit ist es so alt wie das Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken). Es war – bis auf wenige Pannen – wieder mal erstaunlich gut organisiert, und die Filme starteten zum allergrößten Teil recht pünktlich, was für Vielseher wie mich wichtig ist, da man sonst Schwierigkeiten bekommt das über mehrere Kinos in Havanna verteilte Fesivalprogramm wie geplant zu absolvieren.

Vor jedem Film wurde dieser Trailer abgespielt, so war man immer munter mitsummend auf den nächsten Streifen eingestellt:

Von den ca. 400 Lang- und Kurzfilmen habe ich 37 Langfilme gesehen, die besten davon möchte ich hier kurz vorstellen, wie immer im Titel verlinkt auf die Beschreibung auf der Festivalwebsite, und mit Trailer. Die Reihenfolge stellt keine Wertung dar.

1. El Río (Der Fluss)

(Bolivien, Ecuador 2018)

Juan Pablo Richter Paz war im Wettbewerb mit diesem stillen und eindrücklichen Beitrag über einen Jugendlichen vertreten, der von der Stadt aufs Land zu seinem Vater geschickt wird und dessen Introvertiertheit auf eine von Gewalt umgebene Naturidylle trifft. Das Ambiente wird in sehr starken Bildern eingefangen. Der titelgebende Fluss spielt eine dramatische Rolle.


2. El Pepe, una vida suprema (Pepe, ein außergewöhnliches Leben)

(Argentinien, Serbien, Uruguay 2018)

Gut gemachte Doku von Emir Kusturica über eine außergewöhnliche politische Figur der Zeitgeschichte, und zwar über den ehemaligen Präsidenten von Uruguay, José «Pepe» Mujica.

El Pepe, una vida suprema – TRAILER from REC International Film Festival


3. Cómprame un revólver (Kauf mir ein Gewehr)

(Kolumbien, Mexiko 2018)

Der Film von Julio Hernández Cordón spielt in einem Mexiko der nahen Zukunft. Frauen verschwinden, ein Mädchen namens Huck hilft ihrem Vater und versteckt sich unter einer Maske, um ihr Geschlecht zu verbergen. Der Kampf einer Gruppe von Kindern ums nackte Überleben geht ans Herz. Brutal, aber sehr gut inszeniert.

4. El Ángel (Der Engel)

(Argentienen, Spanien 2018)

Luis Ortega stellt einen 17-Jährigen Schönling in den Mittelpunkt seines Filmes. Sein engelsgleiches Aussehen steht im Kontrast zu seinem Hang zur Kriminalität. Ob das gut ausgehen kann? Der Film versetzt uns in das Buenos Aires des Jahres 1971. Vielleicht kein ganz großes Kino, aber gut gemachte Unterhaltung. Und das ist ja auch schon was, oder?


5. Roma

(Mexiko 2018)

Wo ich gerade von großem Kino sprach: «Roma» von Alfonso Cuarón ist großes Kino. Und was für ein großes. Anstatt den Film auf Netflix zu schauen, habe ich die Chance genutzt, ihn im Kino in Havanna zu sehen. Diese perfekt komponierten Schwarz-Weiß-Bilder in epischer Länge (2h 15min!) brauchen die große Leinwand, unbedingt. Zum Film selbst muss ich nicht viel sagen, wer sich für den Hintergrund interessiert, kann das gut in der Wikipedia nachlesen. Ich bin mir sehr sicher, dass «Roma» den Oscar für den besten nicht englischsprachigen Film bekommen wird. Falls nicht, auch egal, die Oscars werden eh überbewertet. 😉


6. Inocencia (Unschuld)

Das tolle am Festival in Havanna ist natürlich dass man die ganzen aktuellen kubanischen Filmen sehen kann. Der Historenstreifen von Alejandro Gil Álvarez hat zurecht den Publikumspreis gewonnen. Er basiert auf einer wahren Begebenheit aus dem Jahr 1871 in Havanna, bei der Studenten der Medizin des Aufstandes beschuldigt wurden, die jedoch – daher der Titel – unschuldig angeklagt wurden und ihr Leben zu verlieren drohten.


7. Los silencios (Die Stillen)

(Brasilien, Kolumbien, Frankreich 2018)

Beatriz Seigner lässt ihren Film an der grenze zwischen Brasilien, Kolumbien und Peru spielen. Es geht um die Flucht einer Mutter und ihrer Kinder vor dem bewaffneten Kampf in Kolumbien. Die Insel im Dreiländereck entpuppt sich als eine Insel der Geister. Mit sensiblen und dennoch starken Bildern wird das mystische Ambiente, wo die Toten mit den lebenden kommunizieren, eingefangen.


8. Retablo (Altarbild)

(Peru, Norwegen, Dänemark 2017)

Jedes Festival hat diese kleinen Perlen, die vielleicht keine großen cineastischen Meisterwerke sind, die einem aber im Gedächtnis bleiben, weil sie etwas ganz Besonderes haben. «Retablo» von Álvaro Delgado-Aparicio Labarthe ist so eine Festivalperle. Und weil von nordeuropäischen Ländern mitproduziert, vielleicht und hoffentlich auch mal bei uns zu sehen. Der 14-jähirge Segundo Paucar soll das handwerkliche Erbe seines Vaters antreten, der mit großer Hingabe und einem bescheidenen wirtschaftlichen Erfolg Altarbilder fertigt. Doch dann muss der Junge eine Entdeckung machen, die die Familie und die letztlich auch die geplante Fortsetzung des Handwerkes auf eine harte Probe stellt.


9. Insumisas (Aufrührerinnen)

(Kuba, Schweiz 2018)

Auch der zweite hier vorgestellte kubanische Film ist auch sehr sehenswert. Von Altmeister Fernándo Pérez und der Schweizerin Laura Cazador, mit der Französin Sylvie Testud in einer der Hauptrollen. Wir werden ins Jahr 1819 zurückversetzt. Auch dieser Film basiert auf einer wahren Begebenheit (“es una ficción basada en hechos reales“, Quelle). Es geht um Migration und Gender. Eine aus Europa stammende Frau verkleidet sich als Mann, praktiziert als Arzt und heiratet sogar eine andere Frau. Die Konflikte der Aufrührerinnen sind vorprogrammiert.


10. Un traductor (Ein Übersetzer)

Noch eine wahre Begebenheit, die als Film verarbeitet wurde. Sehr ans Herz gehend, da die Geschichte so beklemmend ist. Ein Russischlehrer wird von der Uni abbeordert um in einer Klinik als Russisch-Übersetzer zu arbeiten. Eine Klinik, die 1986 Kinder aufgenommen hatte, die erkrankt nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl dem Tode geweiht sind. Die Brüder Rodrigo und Sebastian Barriuso Gonzalez Mora haben die Geschichte ihrer Eltern , des Russisch-Übersetzers und seiner Frau, verfilmt. Sehenswert:

2 Kommentare zu „Festivalbericht Havanna 2018“

  1. Nach den schönen Havanna-Fotos hatte ich schon auf den Festival-Bericht gewartet (und dann doch erst mal verpasst)
    Wie schön, dass du hier eine neue Tradition zu schaffen scheinst (nach MOP, Berlinale, San Sebastián)
    Ich bin schon sehr gespannt, ob und welche der von dir ausgesuchten Filme hier ins Kino kommen
    ROMA ganz bestimmt! Und auch wenn die Oscars überbewertet sind und die Golden Globes natürlich auch – ich hab mich über die 3 Auszeichnungen (beste Regie!) echt gefreut und bin gespannt, den Film – auf der großen Leinwand – zu sehen.
    Danke für deinen persönlichen Bericht von der Insel

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