Prokrastinierer Oblomow auf besonderer Lesung

Gustav-Peter Wöhler liest Oblomow bei Felix Jud Diese Woche war ich in der Buchhandlung Felix Jud auf einer ganz besonderen Lesung. Besonders war sie aus mehreren Gründen.

1. Wurde mit Oblomow (1859) ein klassischer Text gelesen, der ob seiner Neuübersetzung durch Kollegin Vera Bischitzky viel Beachtung und Aufmerksamkeit erregte. Lesenswert auch, was Vera Bischitzky zu dem schier unmöglichen Unterfangen geschrieben hat:

Wenn Übersetzer literarische Transportarbeiter sind, die ihre Fracht streckenweise auch über Drahtseile transportieren müssen, so war für die Beförderung von Ilja Iljitsch Oblomow über Sprachbarrieren, Zeit- und Ländergrenzen hinweg ein ganz besonderer Kraftakt vonnöten. Auch stand die Devise „Vorsicht – zerbrechlich!“ als Menetekel immer an der Wand, weshalb die Logistik und schließlich die Ausführung des Unterfangens viel Fingerspitzengefühl, Geduld und Ausdauer erforderte. Oblomow wollte sich ja um keinen Preis vom Fleck bewegen – schon gar nicht in die Fremde.

2. Der zweite Grund, warum die Lesung eine Besondere war: es las Gustav-Peter Wöhler, ein Schauspieler den ich sehr schätze, und dem es gelang diesem lustlosen Phlegmatiker Oblomow in der Lesung eine Stimme zu geben, die dem Niveau der Übersetzung angemessen war.

3. Es war die heißeste Lesung, der ich je in meinem Leben beiwohnte. In den engen Räumen der Buchhandlung Felix Jud herrschte eine Hitze, dass ich mich nicht gewundert hätte, wenn alle Anwesenden ihre Saunatücher ausgepackt und sich hemmungslos entkleidet hätten, um den russischen Klassiker befreit von der Last zusätzlich wärmender Kleidung zu lauschen.

Ein Textauszug aus der Neuübersetzung (Leseprobe komplett bei Hanser einsehbar), mit einem typischen Dialog zwischen Oblomow und seinem Diener Sachar, dem Oblomow vorwirft, es sei nicht sauber genug in der Wohnung:

»Fege und räume den Dreck aus den Ecken, dann ist Ruhe«, belehrte ihn Oblomow.

»Da räumt man auf, morgen aber sind wieder welche da«, sagte Sachar.

»Sind sie nicht«, unterbrach ihn der Herr, »das kann nicht sein.«

»Sind sie wohl, ich weiß das«, beharrte der Diener. »Wenn das so ist, dann musst du eben wieder fegen.« »Wie? Jeden Tag alle Ecken kehren?« fragte Sachar.

»Was soll das denn für ein Leben sein? Dann mag Gott lieber gleich meine Seele zu sich nehmen!«

»Und wieso ist es bei anderen sauber?« entgegnete Oblomow. »Guck dir den Klavierstimmer von gegen- über an: eine Augenweide ist das, und die haben bloß eine einzige Magd …«

»Woher soll der Kehricht bei den Deutschen auch kommen«, entgegnete Sachar plötzlich. »Sehen Sie sich doch nur an, wie die leben! Die nagen ja allesamt die ganze Woche über nur an Knochen. Der Rock geht vom Vater auf den Sohn über und vom Sohn wieder auf den Vater. Und was die Frau und die Töchter für kurze Kleider anhaben: dauernd ziehen sie die Beine ein wie die Gänse … Woher soll der Kehricht bei denen kommen?

Während Wöhler aus dem achten Kapitel las, wurde mir die ganze Zeit über klar, der Oblomow, das war ein reiner Prokrastinierer. Bin allerdings nicht der Erste, dem das auffiel. Kathrin Passig hat das schon mal in der Lesemaschine getan. Statt ihre weisen Worte zu duplizieren, verlinke ich lieber auf das bereits 2008 Geschriebene: Iwan Gontscharow: Oblomow:

Wenn man die Prokrastination einmal ernst nimmt und nicht immer nur nebenbei verfolgt, stellt man schnell fest, dass in dem, was man bisher für gefestige Prokrastinationskenntnisse hielt, beschämende Lücken klaffen. Weder Oblomow noch sein Autor waren mir bisher ein Begriff, dabei wird gleich auf den ersten Seiten lehrbuchmässig prokrastiniert: Der Protagonist liegt im Bett herum und versucht aufzustehen, was ihm nicht vor Seite 56 gelingt.

Ein recht moderner Klassiker also, dieser Oblomow 😉 . Mit sehr viel Respekt für die Sprache (siehe oben) von Vera Bischitzky in zeitgemäße deutsche Worte gekleidet.

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