Tagebücher von Erich Mühsam

Dies twitterte ich gestern, und da ich weiß, dass nicht alle meine Blogleser auch meine Tweets verfolgen, möchte ich die Tagebücher von Erich Mühsam auch im Blog vorstellen:

Mein Tweet zu den Mühsam-Tagebüchern

Schon der Anfang erinnert beinahe an den zögerlichen Start eines Blogs. Er kauft sich im Sommer 1910 ein leeres Heft und beschreibt es auf der ersten Seite mit den Worten: „Ich werde schwerlich jeden Tag zu Eintragungen kommen – und jedenfalls kaum je zu ausführlichen.“. Doch das sollte alles ganz anders kommen. 7.000 Seiten sind von dem, was er beschrieben hat, erhalten geblieben und sind nun online zugänglich. Abfragbar nach Stichworten, mit Register und Erläuterungen zu den schwer verständlichen Begriffen und zum Hintergrund.

Erich Mühsam. Foto: Wikipedia Eine Leseprobe aus den frühen Jahren, wo es unter anderem auch ums Geschäftliche ging. Am 13. August 1913 schrieb Mühsam in sein Tagebuch:

Jetzt begann der Berliner Betrieb mit seiner Geschäftigkeit und Nervosität, erschwert immer wieder durch die bodenlose unerhörte Hitze, die uns schon ganz hat vergessen lassen, was Regen überhaupt ist. Lotte sah ich täglich im Café, und sie war nett und ungeheuer lieb mit mir, besonders wenn wir allein waren. Sonst durfte nichts Auffälliges geschehn, da Strich viele Freunde hat. – Ich war also draußen in Waidmannslust, am andern Tage suchte ich die Herren Eckert und Co (die Compagnie heißt Schwartzkopf) auf, und nun hatte ich mit der Bande genug zu tun. Es wurde geschachert und gehandelt, und das Ergebnis ist, daß ich jetzt einen Kontrakt in der Tasche habe, nach dem ich das Buch „Glaube, Liebe, Hoffnung“ an den Verlag für 500 Mk mit allen Rechten (außer dem Aufführungsrecht) abgebe. Leider erhalte ich erst 50 Mk, da die Gesellschaft einen großen Dalles zu haben scheint. Ich hörte zu, wie Schwartzkopf am Telefon einen Geldgeber bewegen wollte, für die Sache Geld zu lockern und wäre vor Lachen fast geborsten, wie er die Aussichten übertrieb, erlogene Zahlen nannte und dgl. – Ich betrachte das Geld als gefunden, da ich längst verzweifelt hatte, für die Arbeit noch mal Geld zu sehn. Von der Deutschen Montagszeitung holte ich mir 25 Mk, die, was ich garnicht wußte, für mich noch gut waren. Die 100 Mk vom alten Verlag des Blattes, hieß es, seien auch ganz sicher. Tant mieux.

Foto: Wikipedia

Der Freitag hat vollkommen recht, wenn er im Artikel Zurück im Hypertext schreibt: Literatur im Netz ist kein toter Hund.

Die Online-Edition von Chris Hirte und Conrad Piens in Kooperation mit dem Verbrecher Verlag Berlin ist ein tolles Projekt zur Bewahrung von Literatur. Von einer ganz persönlichen Literatur, die uns die fast 100 Jahre zurückliegende Zeit sehr erlebbar macht. Zum Lesen und Stöbern bitte hier entlang: Tagebücher von Erich Mühsam.

Update 10.7.2011: DRadio Kultur: Lebenschronik eines Anarchisten

Akribisch notiert Erich Mühsam Tag für Tag die Namen derer, die er täglich im Stammlokal der Bohème, der Torggelstube, angetroffen hat. Es ist ein Who is Who der damaligen Kulturszene, das dort verkehrt: Wedekind, Feuchtwanger, Fridell, Roda-Roda, Waldau, Oppenheimer, Moissi, Thoma. Und Mühsam kennt sie alle, wird von allen gekannt. Auch wenn sein beruflicher Erfolg als bekennender Anarchist im ausgehenden Kaiserreich gebremst ist und er dem Tagebuch regelmäßig seine permanenten Geldnöte klagt.

3 Kommentare zu „Tagebücher von Erich Mühsam“

  1. Mal wieder: Danke für den doppelten Hinweis. Hab gestern Twitter nicht verfolgen können und hätte sonst den Hinweis vermutlich verpasst. Sehr spannend dieses Projekt, hab mich auch schon etwas festgebissen bzw. festgelesen!

  2. Auch ich danke für den Hinweis! Erst der Blogeintrag hat mir gezeigt was für eine Perle sich hinter dem Link zu verbergen scheint. Ein wahres Kleinod für den Geschichtsunterricht.

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