Brüderles Patzer ist kein Protokollfehler sondern Ausdruck der Wählerverachtung


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Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man über die unverhohlene Wählerverachtung lachen, die durch das protokollierte Geständnis Brüderles, die Bundesregierung habe das Atom-Moratorium nur wegen der anstehenden Landtagswahlen erfunden.

Es erinnert nun ein wenig an Guttenbergs – von der Bundesregierung gestützten erste hilflose Erklärungsversuche – seine Doktorarbeit sei kein Plagiat gewesen («Meine Dissertation ist kein Plagiat», Stichwort: Formfehler), wenn Brüderle heute im Bundestag behauptet (s. obiges Video ab der 2. Minute), seine beim BDI getätigten Äußerungen seien aufgrund eines Protokollfehlers von der Süddeutschen falsch zitiert worden. Wie konnte der Süddeutschen so ein schlimmer Fehler passieren? Oder ist etwa doch etwas dran, wenn sie schreibt:

Deutsche Kernkraftwerke gehen aus taktischen Gründen vom Netz: Wirtschaftsminister Rainer Brüderle hat nach SZ-Informationen vor der Spitze der deutschen Industrie gesagt, dass die anstehenden Landtagswahlen der Grund für den plötzlichen Sinneswandel der Regierung in der Atompolitik sind. Entscheidungen seien da “nicht immer ganz rational”.

Süddeutsche Zeitung: Brüderle: AKW-Moratorium ist nur Wahlkampf-Taktik.

Im Stile der Hassknecht’schen Kommentare aus der Heuteshow (siehe Vorstellung Gernot Hassknecht) möchte man leise anheben und dann – erkennbar an den Majuskeln – losbrüllen:

Natürlich kann auch mal in einem Protokoll etwas missverständlich festgehalten werden, lieber Herr Bundeswirtschaftsminister, … ABER FÜR WIE BLÖD HALTEN SIE DIE WÄHLER EIGENTLICH NOCH, DASS SIE SICH ERDREISTEN IHNEN SO EINE SCHWACHSINNIGE AUSREDE AUFZUTISCHEN?!?

Ich bin ansonsten sprachlos ob so viel Verachtung gegenüber dem Wählerwillen und lasse deshalb zum Abschluss den ehemaligen Regierungssprecher Michael Spreng zu Worte kommen, der heute in seinem Blog Sprengsatz konstatiert:

Selbst für Wähler mit dem kleinen Durchblickerlehrgang ist dies keine Überraschung, aber es ist schon eine Enthüllung, dass Brüderle dies im vertrauten Kreis offen aussprach und damit alle Beteuerungen der Regierung, ihre Kehrtwende habe nichts mit den Wahlen zu tun, wie eine Seifenblase auch regierungsamtlich zerplatzen ließ.

Update 25.3.2011, 13:45 Uhr: Mir fehlen erneut die Worte: BDI-Spitzenmann tritt wegen Brüderle-Affäre zurück (Spiegel Online).

16 Kommentare zu „Brüderles Patzer ist kein Protokollfehler sondern Ausdruck der Wählerverachtung“

  1. Ich würde zu gerne das Protokoll lesen…
    Es war ja von vorne herein klar, dass es sich beim Moratorium um reine Taktik handelte, aber dass es tatsächlich so offen von einem Politiker zugegeben wurde ist schon ein Ding…

  2. @Largos: Genau das war auch meine erste Reaktion. Auf der einen Seite, müsste man Brüderle dankbar sein für die Ehrlichkeit (wenn die Fakten auch jedermann klar waren, der sich über die Lektüre der BILD hinaus eingehender mit Politik beschäftigt), auf der anderen Seite, wundert es einen schon…

  3. @Ulli: Ah ja, danke. Dies ist die heute schon mehrfach zitierte und auch im Bundestag vorgetragene Stelle des Protokolls (ich zitiere aus Spiegel Online):

    Herr Dr. Keitel machte darauf aufmerksam, dass derzeit eine Meldung über die Ticker laufe, wonach die Bundesregierung am Nachmittag ein Moratorium der Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke bekannt geben wolle. Der Minister bestätigte dies und wies erläuternd darauf hin, dass angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen Druck auf der Politik laste und die Entscheidungen daher nicht immer rational seien. Er sei ein Befürworter der Kernenergie in Deutschland und für ihn sei klar, dass die energieintensive Industrie in der Wertschöpfungskette gebraucht werde. Es könne daher keinen Weg geben, der sie in ihrer Existenz gefährde.

  4. Ein Schuft der Übles dabei denkt.
    Es wird nur das Bestätigt was jeder vernunft begabte Mensch schon vorher geahnt hat. Aber die Mehrheit, die es zu gewinnen gilt, liest eh nur die Zeitung mit den großen Bildern. Und es ist zu befürchten, dass die dem Gefasel vom Moratorium auch noch glauben schenken.

  5. @Diego: Genau so ist es, den Informierten hat Brüderle nichts Neues gesagt. Aber diejenigen, die geblendet werden sollen, sind jetzt ein bisschen schwieriger zu blenden. Da wird auch – ähnlich wie im Fall Guttenberg – das Propagandablatt BILD an seine Grenzen stoßen.

  6. Aber wenn Brüderle eh nur sagt, was die Regierung sagt und was er – abweichend von der Koalitionslinie – persönlich denkt (er war schon immer entschiedener Verfechter der Kernenergie), was ist dann bitte so schlimm daran?

    Niemand wird die CDU wählen, weil er glaubt, das Moratorium sei der Ausstieg von Ausstieg. Ist der Glaube, dass potenzielle oder überzeugte CDU-Wähler von diesem Moratorium “geblendet” würden, nicht an sich ein wenig menschenverachtend gegenüber diesen Wählern und ihrem Verstand?

  7. @Torsten: Das Schlimme daran ist nicht die Offenlegung seiner Atombefürwortung (die war – wie Du richtig schreibst – eh schon bekannt), sondern, dass er dem BDI gegenüber deutlich macht (was viele von uns auch schon wussten), dass der plötzliche Umschwung mit dem Moratorium nur ein wahltaktisches Manöver ist. Und als solches will es Schwarz-Gelb ja nicht dargestellt wissen, sondern mit voller Absicht wählertäuschend als ernsthaftes Innehalten. Wie ich in meinem Vorkommentar schon schrieb:

    Den Informierten hat Brüderle nichts Neues gesagt. Aber diejenigen, die geblendet werden sollen, sind jetzt ein bisschen schwieriger zu blenden.

  8. Tja, ich kann mich nur immer wieder wiederholen: ein Haufen Egomanen, die auch noch vergreist sind und den Altersstarrsinn schrammen. Ich bin fast schon verzweifelt, weil man immer weniger Hoffnung hat, überhaupt noch etwas bewirken zu können. Würde eine Direktwahl der Vertreter vielleicht was ändern? Wenn sie Angst um ihren Posten haben müssen. Schlimmer als jetzt kann es nicht werden, denn die angeblichen “Spezialisten” oder “Profis”, die im Sinne des Volkes (siehe Wahlergebnisse) handeln sollten, tun dies offensichtlich ja nicht. Da könnte man doch auch was anderes ausprobieren. Insgesamt aber wirklich ernüchternd, Markus, ich frage mich, wo die anderen sind, die unserer Meinung sind. Es ist jedenfalls immer schwerer Leute für irgendwas zu mobilisieren, sei es mit zu einer Demo zu gehen oder auch einfach den Wechsel zu Naturstrom. Warum nur???

  9. @Aengelchen: Direktwahl ist auch ein schwieriges Thema, öffnet Populisten und geschickten Selbstdarstellern Tür und Tor (s. Guttenberg). Deine Frage “Warum nur?” (viele sich nicht mobilisieren lassen), stelle ich mir ansonsten auch. Eine Antwort darauf habe ich leider auch nicht. Die Politiker bauen sehr darauf, dass die Leute schnell vergessen und schwenken Positionen mal eben – wie oben dargestellt – aus wahltaktischen Gründen um. Da muss man eben mithelfen, solche “Erinnerungslücken” (Atom, Guttenberg, wenn er wiederkommt, etc.) gar nicht erst aufkommen zu lassen. Schwieriges Thema, ich weiß. Ich gebe es trotzdem nicht auf.

  10. Das mag sein, so betrachtet gibt es dann gar keine Hoffnung …sehr ernüchternd. Wir leben in einer Zeit, in der die schnelle und schnell zugängliche Information viel sichtbar macht, vielleicht ist es ja das, was sich geändert hat im Vergleich zu früher. Die Menschen und Politiker waren schon immer so korrupt und egozentrisch, konnten sich früher nur besser verkaufen, weil die darstellenden Medien überschaubar (und kontrollierbarer) waren. Wie geht man als Bürger, Betroffener und Wähler aber mit dieser Erkenntnis um? Wieder die Frage, was man tun soll bei der nächsten Wahl, um sich endlich mal Gehör zu verschaffen. Diese von uns gewählten Vertreter sollen mal endlich verstehen, daß sie auch das tun sollen, weswegen sie von uns gewählt wurden. Vor allem sollten sie wieder neutral ihren Job machen und nicht die Befriedigung diverser Lobbys priorisieren. Ich könnte vor Verärgerung platzen wenn ich darüber nachdenke.

  11. Die ganze Politik ist doch nur noch reine Wählerverachtung. Ich erinnere nur an die Hartz IV Debatte. Es ist schlimm genug arbeitslos zu sein, ohne dass in der Politik über 5 oder 11 Euro gestritten wird. Hier ist es jetzt auch nicht anders.

  12. Ich möchte mal den pessimistischen Blick auf die Politik im Allgemeinen aufhellen. Denn in unserer Gesellschaft und Politiksystem hat man nach wie vor die Wahl. Brüderles Aufrichtigkeit lässt sich durch ein Kreuz auf den zukünftigen Wahlscheinen belohnen. Merkels Drehvermögen ist ebenso abstimmbar.
    Außerdem denke ich bei aller Kritik an politischen Entscheidungen, dass wir davon ausgehen sollten, dass Politiker nicht nur die Macht im Blick haben, sondern auch das Wohl und Weh des Staatsgebildes und seiner Bürger. Brüderle kann man letztlich auch nicht viel vorwerfen, außer, dass er seiner Überzeugung folgend, den Wechsel der Regierung so beschrieben hat, wie ihn die interessierte Öffentlichkeit selbst wahrnehmen konnte. Erst in der Debatte, als er sagte das Protokoll sei fehlerhaft, hat er offensichtlich gelogen. Brüderle ist konsequent. Dennoch kann man nur hoffen, dass er und die Kanzlerin sich über die drei Monate hinaus ins Stammbuch schreiben lassen, dass sie auf eine antiquierte Technik gesetzt haben, von der sich die Bürger längst schon abgewandt hatten, weil sie sie auch an eine Zukunft glauben, die sich die Konservativen nicht vorstellen konnten. Damit haben sie sich abgewandt vom Gestaltungswillen der kennzeichnend ist für gute, der Zukunft zugewandten Politik.
    Aber wir haben die Wahl. Ich werde nicht müde zu erwähnen, dass in anderen Ländern Menschen für dieses Recht, auch das zu sagen was wir hier austauschen und eben eines zur Wahl zu gehen ihr Leben riskieren.
    Und hier: sind wir nicht einmal mehr bereit die falsche Wahl zu treffen? Das müssen wir wohl riskieren, dass wir auch mal die falsche Wahl treffen.

  13. @Karl Humbricht: Danke für die durchaus angebrachte aufhellende Sichtweise der Problematik. Da ist was dran: wir haben die Wahl, während diese in anderen Ländern nicht oder nur zum Schein existiert.

    Wenn aber auch bei uns die Politik immer mehr von geheimen Absprachen, Täuschung und Taktik beeinflusst wird, nimmt auch bei uns die potentielle Einflussnahme der Bevölkerung auf politische Entscheidungen ab. Noch funktioniert unser System ja ganz gut und gerade durch das Internet (siehe Guttenberg) wird es den Regierenden immer schwerer gemacht, das Wahlvolk hinter’s Licht zu führen.

    Aber, wie gesagt, es ist korrekt: wir haben die Wahl, können eine falsche Wahlentscheidung bei der nächsten Wahl korrigieren. Und zischen den Wahlen die politischen Entscheidungen kritisch begleiten. Das ist das, was wir hier machen.

  14. @Karl Humbricht: Ja, die relativ hohe Wahlbeteiligung ist erfreulich. Zeigt, daß die Menschen motiviert sind, zur Wahl zu gehen, wenn sie das Gefühl haben, sich zwischen Alternativen entscheiden zu können.

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