Frank Fischer
Das erste Kunstwerk…
…gibt es in Hamburg zu bestaunen: Eine «Godot»-Inszenierung auf dessen Besetzungsliste auch ein Schauspieler für die Rolle des «Godot» steht und zwar der dem Roman den Titel gebende Johannes Weltmüller. Dabei wissen wir Kulturbürger doch alle, dass in Becketts zigfach inszeniertem Stück alle auf Godot warten, der aber bis dato auf der Bühne noch nie erschienen ist. Wieso dann einen Schaupieler mit der Rolle besetzen? Was für ein Spiel wird denn hier getrieben? Fragt sich das Hamburger Publikum und randaliert im wunderschönen Hamburger Schauspielhaus beim Tumult am Premierenabend. Großartig die Idee der Besetzung Godots, genial auch die anderen kuriosen Besetzungen, die in diesem Kapitel zur Sprache kommen.
Das zweite Kunstwerk…
…ist in der Stadt beheimatet, in der Frank Fischer lebt: Leipzig. Der (nicht nur zeit-)geschichtsträchtige Augustus-Platz, wo sich die Leipziger Montagsdemonstranten versammelten, ist Schauplatz eines Kunstwerkes, das ähnlich der Stolpersteine, eine Erinnerung an und eine Auseinandersetzung mit den 192 UNO-Mitgliedsstaaten der Welt bietet. Für jedes Land wurde eine Metallkachel in den Boden gelassen, auf der mit zehn Punkten
…man kann sich auch einfach mal nur wundern.
Das dritte Kunstwerk…
führt uns zum ersten Mal in diesem Roman über deutsche Grenzen hinaus, es startet zwar in Dresden, doch landen wir – oder vielmehr das gesuchte Gemälde – schließlich in Parma. Es geht um ein offenbar während der 2002-er «Jahrhundertflut» der Dresdner Gemälegalerie abhanden gekommenes (gestohlenes?) Bild, die Rosenmadonna von Parmigianino. Wie konnte sie weg kommen und wie landete sie in Parma?
Frank Fischers Text hat seinen Reiz gerade darin, aufgeworfene Fragen nicht zu beantworten. Wer das vom Autor fordert, hat seinen Text nicht verstanden. Ich wiederhole noch mal:
…man kann sich auch einfach mal nur wundern.
Frank Fischer hat das wohltuende Vertrauen in eine Leserschaft, die sich aufgeworfene Fragen gerne auch selbst zu beantworten versucht. Das Spiel mit den Möglichkeiten macht ja auch Spaß. Und das ist nichts Verwerfliches. Nein, Fischer spielt nicht mit dem Leser, er lässt ihn spielen. «Weltmüller» ist die auf 118 kurzen und mit großem Vergnügen lesbaren Seiten angelegte Möglichkeit des «Was wäre wenn…?». Des Nachdenkens über unseren Umgang mit Kultur. Der augenzwinkernden Betrachtung der Inszenierung von Kultur.
Ach ja richtig, ich sprach zu Beginn dieses Textes von vier Kunstwerken, die Gegenstand von «Weltmüller» sind. Bitte:
Das vierte Kunstwerk…
…ist «Weltmüller» selbst. Dieser Frank Fischer, über dessen drei Reportagen Frank Fischer hier schreibt, führt der uns an der Nase herum? Hat es die Vorfälle überhaupt gegeben? Natürlich nicht. Oder doch? Der Rezensent lässt diese Fragen offen. Es hilft nur eines: selber lesen. 😉
“Weltmüller” ist eine Art Fortsetzung von Frank Fischers Erstlingswerk “Die Zerstörung der Leipziger Stadtbibliothek im Jahr 2003” – auch hier findet sich die Reportage-Feuilletion-Form wieder. Einziger Unterschied – hier bleibt die Frage nach dem Täter nicht offen, allerdings deutet Fischer auch an, dass das Spiel weiter fortgesetzt wird. “Weltmüller” ist dann nur die logische Weiterentwicklung der Idee. 🙂
@Christian: Der Text steht ja dankenswerterweise auch zum freien Download im Netz. Werde ihn demnächst sicher auch mal lesen: Die Zerstörung der Leipziger Stadtbibliothek im Jahr 2003.