Neues Argentinisches Kino im BR

Bombón und Coco auf der Fahrt durch Patagonien

Ich liebe das Argentinische Kino. Wer es nicht kennt, hat heute Abend im Themenabend «Neues Argentinisches Kino» im BR die Möglichkeit, es kennen zu lernen.

Beim Neuen Argentinischen Kino, also den Filmen, die mehr oder weniger in den letzten 10 Jahren aus Argentinien weltweit großen Erfolg feiern, beeindruckt mich immer wieder die große künstlerische Dichte in Zeiten der wirtschaftlichen Krise des Landes. Wenn ich auf den internationalen Filmfestivals sehe, wie viele – und vor allem wie viele gute – Filme der jeweiligen Jahrgänge aus Argentinien kommen, obwohl das Land im vergangenen Jahrzehnt eine seiner schwersten wirtschaftlichen Krisen zu durchleben hatte, bin ich jedes mal wieder überrascht, wie sie das überhaupt geschafft haben. Auch wenn es schade ist, dass der BR die Filme heute Abend nicht als Original mit Untertiteln zeigt (das argentinische Spanisch gehört für mich zu den schönsten gesprochenen Varianten des Spanischen), lohnt es sich in die Filme rein zu schauen und vielleicht im Anschluss den ein oder anderen als DVD im Original zu erwerben, um auch das wunderbare Spanisch zu genießen (auch wenn man kein Spanisch versteht, ist das ein ungeheurer Gewinn, dafür gibt’s ja einblendbare Untertitel).

Kein Mensch schaut Filme von 20:15 Uhr bis 3 Uhr nachts, selbst wenn er vom Kino so begeistert ist, wie ich. Aber es gibt ja Aufzeichnungsgeräte und die solltet Ihr für heute Abend programmieren: «Themenabend Neues argentinisches Kino» (BR, Termine & Filminfos im Überblick).

Jetzt zu den Filmen. Los geht’s mit…

Der Sohn der Braut (El hijo de la novia, 2001) 20:15 – 22:10


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Schöner Film von Juan José Campanella über einen 42-Jährigen Workoholic, den ein Herzinfarkt in der Mitte seines Lebens auf eine andere Spur schickt, genial gespielt von Ricardo Darín. Auch großartig, sein Vater: Héctor Alterio. Oscar-Nominierung als “bester ausländischer Spielfilm” und zahlreiche Preise für diese melancholische Komödie, die vielleicht kein cineastisches Highlight ist, aber durch das gute Schauspiel viel mehr als ein Fernsehfilm ist.

Eine Tradition der Familie (Derecho de Familia, 2006) 22:15 – 23:50


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(Wer kein Spanisch kann, findet hier einen englisch untertitelten Trailer, leider in schlechter Bild-Qualität.)

Ich bin ein ganz großer Fan des Regie- und Schauspiel-Duos Daniel Burman und Daniel Hendler (der erste Daniel führt Regie, der zweite Daniel spielt die Hauptrolle, wie etwa in dem großartigen Film «El abrazo partido» aus dem Jahr 2004). Ein Mann auf der Suche nach seiner Rolle im Leben. Seiner Rolle als Sohn, als Mann und als Vater. Das Faszinierende an den Filmen Burmans ist, und in diesem schafft er es auch wieder: sie sind nicht spektakulär, sie zeigen keine außergewöhnlichen Lebensumstände, sondern ganz einfache, aber alle angehende Konflikte des Alltags, wie etwa die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen. Und sie zeigen sie so großartig, dass es keinen Moment langweilig ist, sie zu sehen. Im Gegenteil: Burmans Filme und Hendlers Spiel wirken nach. Lange.

Buenos Aires 1977 (Crónica de una fuga, 2006) 23:50 – 01.30


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Der Film von Adrián Caetano wurde 2006 in Cannes für die «Goldene Palme» nominiert und mehrfach auf weiteren Festivals ausgezeichnet. Dies ist der einzige der vier Filme des Themenabends, den ich nicht kenne. [Update: Mittlerweile hab ich ihn gesehen und er ist großartig!]. Daher zwei Zitate aus anderen Quellen: Der BR über den Film:

Argentinien, zur Zeit der Videla-Diktatur. Der angesehene Fußballprofi Claudio wird überraschend von der Militärpolizei verhaftet. Man beschuldigt ihn – zu Unrecht – Mitglied einer oppositionellen Guerilla-Gruppe zu sein. Nach 120 Tagen Haft wagt er einen Ausbruch.

Zur besonderen Inszenierung schreibt Delphine Valloire auf arte:

Häufig ließ Gaetano die Szenen auf Höhe des Fußbodens filmen, um die bedrückende Enge und das geistige Eingesperrtsein zu verdeutlichen, in der die zusammengepferchten Männer ausharren müssen. Andere, aus der Vogelperspektive aufgenommene Szenen lassen die alles zerdrückende Atmosphäre spüren. Immer mehr werden die Gefangenen zu Schatten ihrer selbst, ihre Peiniger behandeln sie wie Sklaven und nackte Tiere…

Bombón – eine Geschichte aus Patagonien (Bombón – El Perro, 2004) 01:30 – 03:05

Seinen Abschluss findet der Themenabend mit einem ganz wunderbaren Film, zu dem Ihr oben schon ein Foto gesehen habt (die Szenen mit dem Hund gehören mit zum schönsten, was ich im Kino an Hund/Mensch-Kombi gesehen habe):


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(Auch hier für Nicht-Spanisch-Sprechende ein Trailer mit engl. UT.)

Carlos Sorín, der uns schon mit «Historias Mínimas» (bereits vor vier Jahren auf Text & Blog beschwärmt) tief in die argentinische Seele blicken ließ, hat mit «Bombón» einen Film gemacht, den man als minimalistischen Realismus bezeichnen könnte. Sorín liebt es seine Figuren mit Laiendarstellern zu besetzen, um zu zeigen, wie die Menschen Argentiniens ticken. Coco ist erst 52, als er seinen Job als Mechaniker in einer Autowerkstatt verliert. Jetzt verkauft er selbst gemachte Messer (mit wunderschönen künstlerisch geschnitzten Griffen) und hält sich damit mehr schlecht als recht über Wasser. Da schenkt ihm eine alte Dame einen argentinischen Dogo, einen edlen Zuchthund, und das Leben scheint sich zum Besseren zu wenden. Wenn man sieht, wie Coco mit Bombón auf dem Beifahrersitz durch die patagonische Landschaft fährt, sind das Bilder, die nicht mehr aus dem Kopf gehen. Aber über diesen visuellen Gag hinweg ist der Film es wert, gesehen zu werden. Kuriosum am Rande, als Bonbon (hihi) am Schluss dieses Artikels: Hauptdarsteller Juan Villegas, der die tragische Figur des Coco ganz und gar großartig spielt, ist auch im wirklichen Leben Mechaniker und betreibt eine Autowerkstatt.

6 Kommentare zu „Neues Argentinisches Kino im BR“

  1. Vielen Dank für den rechtzeitigen Hinweis auf den Argentinischen Kino-Abend im BR und die kurzen “Teaser” zu den Filmen. Ich weiß auf jeden Fall jetzt, was ich heute Abend machen werde und freu mich jetzt schon wie Bolle darauf! :)) Ich hoffe, ich halte bis zum Ende durch, ein Aufzeichnungsgerät besitze ich nämlich nicht. ;o)

  2. @Liisa: Fast 7 Stunden argentinisches Kino am Stück sind aber eine stramme Herausforderung. Zumal der letzte erst um 1:30 Uhr startet. Vielleicht solltest Du sicherheitshalber einen Account bei onlinetvrecorder.com anlegen. Da kann man kostenlos private TV-Aufzeichnungen für sich programmieren und im Anschluss herunterladen.

  3. Ich habe dank Deines Hinweises alle vier Filme gesehen und es nicht bereut! Am besten hat mir der erste Film gefallen. Den zweiten fand ich persönlich ganz nett aber jetzt nicht sooo überzeugend. Der dritte ist ein bedrückender aber wichtiger Film und der vierte war einfach wieder schön, vor allem der Hauptdarsteller war in seiner Rolle sehr sehr sympathisch! Wunderbar und Danke nochmal an Dich!

  4. @Liisa: Freut mich. Respekt: Du hast alle vier Filme gesehen?! Ich habe nur die ersten drei geschafft. Mein persönliches High-Light beim Wiedersehen der Filme war der kleine 3-jährige Sohn Daniel Hendlers im zweiten Film («Derecho de Familia»).

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