Von der Freiheit des Netzes

Zu dem, was heute womöglich mit dem Einstieg in die Netzzensur unter Missachtung unserer Verfassung von der Großen Koalition in Berlin beschlossen werden wird, hat Thomas Knüwer im Handelsblatt das Notwendige gesagt:

Es ist ein Dammbruch für die Demokratie und ein zynischer Missbrauch des Leides vergewaltigter Kinder. Wer Kinderpornos bekämpfen will, hat dafür ausreichende rechtliche Mittel – auch im Internet. Was fehlt, sind Kapazitäten für die Ermittler. Wer aber glaubt, dass jene Sperren, die sich in Sekunden von jedermann umgehen lassen, Kinderschänder vor Gericht bringen, darf als naiv bezeichnet werden. Dies haben zahlreiche Experten erläutert, doch weder Familienministerin Ursula von der Leyen noch Innenminister Wolfgang Schäuble mochten zuhören. Die Antworten auf eine Bundestagsanfrage der FDP zeigten: Die Bundesregierung hat sich weder mit den Sperrlisten anderer Länder befasst, noch hat sie Wissen über den Kinderporno-Markt. Das aber hatte sie zuvor behauptet.

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Auch international richtet man besorgte Blicke nach Deutschland:

Unfassbar, absolut unfassbar. Die Bundesregierung, ihr voran die inkompetente Familienministerin Ursula von der Leyen, unterstützt von einer hilflosen und schlecht beratenen SPD, ist dabei, eine verheerende Fehlentscheidung mit weitreichenden Folgen zu treffen. Da kommt wohl auch die Stellungsnahme des Online-Beirates der SPD zum Zensurgesetz zu spät. Ich kann nur hoffen, das morgen Früh um 9:00 Uhr möglichst viele Berliner bzw. sich in Berlin aufhaltende Menschen an der Zensursula-Sperrwache am Brandenburger Tor bzw. am Reichstag teilnehmen. Aktuelle Meldungen können unter dem Schlagwort #zensursula und/oder #sperrwache auf Twitter verfolgt werden.

7 Kommentare zu „Von der Freiheit des Netzes“

  1. CDU und SPD machen sich gerade für eine ganze Generation von Internetnutzern unbefristet unwählbar. Das wird sich vielleicht nicht entscheidend in den Wahlergebnissen niederschlagen, aber immerhin werden der Kölner Anzeiger und andere Hausblättchen der Zensur-Vorantreiber jedes mal mit einer gehörigen Portion Ärger den nächsten Wahlerfolg der Piraten kommentieren müssen.

  2. Es ist mehr als ein unsinniges Gesetz:

    * Missbrauch des Kipo-Ansatzes ist abzusehen (ich sag nur Sorgerechts-Streits: da reicht ein Klick am PC des Ex-Gatten bzw. das Unterschieben eines Kurz-Links (wie bei Twitter üblich), und der kriegt SICHER NIEMALS das Kind.

    * Aufbau eines Zensursystems, welches GANZ SICHER wie bereits jetzt gefordert für andere _IN DEUTSCHLAND_ irgendwie nicht legale Sachen benützt wird. Da fällt das Wegblenden ausländischer Server mit Seiten drunter, die hier unter „Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole“ fallen (so ein Gesetz gibt es nur in Deutschland – und ja, hier vergleich ich mit der chinesischen Zensur, denn was dort geblockt ist widerspricht ja auch CHINESISCHEN Gesetzen), aber bis hin zu legaler Pornograophie (Jugendschutz!), Glücksspiel (wenn der Staat nicht mitmacht, ist es illegal!), Zugang zu Chemieknowhow (Bombenbau-Gefahr, am besten ganze ausländische Unis wegzensieren!), Bulemie-Selbsthilfegruppen (bringt unsere Kinder nur auf dumme Gedanken), und natürlich – weil Waffen töten keine Menschen, aber Killerspiele! – die Sperrung von „Killerspielen“, ist ja auch schon gefordert.

    * Ausrede „wir haben zensiert“ lässt die Daten DENNOCH im Netz. JEDE Stunde, die man einen Zensor bezahlt, wär besser in Strafverfolgung der KiPo-Anbieter und KiPo-Konsumenten (beides TÄTER nach aktuellem Recht!) angelegt, und mit extrem wenig Aufwand liesse sich JEDES Kipo-Angebot aus einer Sperrliste einfach im Netz LÖSCHEN. Wird aber nicht passieren, denn dazu wäre ja im Gegensatz zu den blöden Sperren auch Geld nötig, welches man lieber anderswo vergeudet. Soviel zum Kinderschutz.

    * (weitere) Aushöhlung des Rechtsstaates. Dieser Sekundärschaden wird nicht direkt sichtbar sein, und natürlich wird es wieder wie üblich komplett falsch aufgefasst. Aber die Art & Weise, wie hier die Parteien incl. der Opposition, die erst durch unüberhörbare Proteste aus dem Netz aufwachte (davor haben sie sich hübsch bedeckt gehalten), ganz besonders aber die beiden Parteien der grossen Koalition aufführen, wie sie Bedenken und Argumente auf eine UNERTRÄGLICH arrogante Weise vom Tisch fegen, all dies steigert die Politikverdrossenheit noch mehr.

    Von allen Unterzeichnern kann ich mir nicht vorstellen, dass nur EINER von diesen JEMALS wieder sein Kreuz bei CDU/CSU oder SPD macht – denn die Art und Weise, wie die Politik auffassen, ist sicher bei anderen wichtigen Projekten (Wirtschaft, Asylpolitik, Aussenpolitik, Entwicklungshilfe, Atomenergie, Waffenhandel etc) genauso skrupellos.

    Angriff auf das Grundgesetz, Angriff auf die geltende Demokratie, Hintergehung diverser moralischer Grundprinzipien – mir ist ein Rätsel, wie Schäuble & Co (klar steckt der dahinter!) überhaupt noch ihr eigenes Spiegelbild ertragen können.

  3. Ich danke Euch für Eure Kommentare. Das Ergebnis ist wie erwartet: das Gesetz wurde im Bundestag angenommen, 389 Ja-Stimmen, 128 Nein-Stimmen, 18 Enthaltungen. Da es eine namentliche Abstimmung gab, kann man sich auf netzpolitik.org (PDF) anschauen, wer wie abgestimmt hat, oder man kann hier das Abstimmverhalten seiner lokalen Volksvertreter abfragen: hatmeinabgeordneterfuernetzsperrengestimmt.de.

    Die 389 Abgeordneten der CDU und SPD, die diesem in Sachen Kinderpornographiebekämpfung vollkommen nutzlosen und mit unserer Verfassung nicht in Einklang zu bringenden Gesetz zugestimmt haben, werden noch sehen, was sie davon haben. Die kritisch denkenden und sich objektiv selbst informierenden (und nicht durch gekaufte Meinungsumfragen und tendenziösen Journalismus beeinflussten) Internetnutzer haben die Parteien der Großen Koalition jedenfalls als potentielle Wähler verloren.

    Ich zitiere aus unserem Grundgesetz Artikel 5, Absatz 1:

    Artikel 5 Grundgesetz

    (1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

    Seit heute gilt: Eine Zensur findet statt. Vertrauen in einen großen Teil der Volksvertreter ging verloren. Das ist das traurige Fazit des 18. Juni 2009.

  4. Thomas Altenwald

    Etwas neues aus dem Grundgesetz (vielleicht als neues Thema):

    Artikel 3 Grundgesetz

    (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

    (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

    (3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

    Da kann doch deine Internet-Blog-Überwachung bestimmt auch eine neue Abstimmung anleiern. Eigentlich leben wir in einem tollen Staat. Mit vielen Fehlern! Und immer noch vielen Wählern.

  5. @Thomas: Soll das etwa heißen, weil tagtäglich gegen Art. 3 verstoßen wird, kann der Art. 5 auch vernachlässigt werden? Das kann’s ja wohl nicht sein.

    Es wird sicher viele Wähler geben bei den kommenden Bundestagswahlen. Mehr als den Placebomassnahmen-Ergreifern recht sein wird. Und die Internet-Nutzer, die von der offensichtlich uninformierten Politik enttäuscht wurden, haben auch wählbare Alternativen.

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