Sorgen um Webzensur – Wer stoppt Frau von der Leyen?

Stop

So langsam wird mir bei Diskussionen im Freundes- und Bekanntenkreis zum Thema Webzensur klar, dass sich eine Art digitale Informations-Schere öffnet zwischen Personen, die sich weitestgehend in den herkömmlichen Medien (Zeitung, TV) informieren und denen, die zusätzlich auch das Internet als unabhängige Informationsquelle rekrutieren. Menschen, die ich bisher für kritisch gehalten habe, bzw. die staatliche Maßnahmen keinesfalls kritiklos hingenommen haben, entgegnen mir gerne, wenn ich mir über die vom Familienministerium eingeleiteten Zensurmaßnahmen Sorgen mache: «Aber es ist doch gut, dass etwas gegen Kinderpornographie unternommen wird. Natürlich ist das nicht genug, aber es wird wenigstens von Seiten der Gesellschaft ein Zeichen gesetzt.».

Warum das eine grundfalsche und geradezu gefährliche Einstellung ist, hat – seit einer Woche in meiner Wong Roll unten rechts verlinkt – Gerrit van Aacken in seinem kurz die wesentlichsten Argumente zusammenfassenden Artikel auf den Punkt gebracht: «Fünf Argumente gegen die Webzensur». Gerrit zieht darin ein allzu wahres Fazit:

Statt die vorhandenen Gesetze und Infrastrukturen effektiv zu nutzen und hier mehr Geld und Personal reinzustecken, werden neue Absprachen und Gesetze beschlossen (teils aus Unwissenheit, teils aus Aktionismus), die wenig kosten und den Wahlsieg sichern sollen, auch wenn sie keinerlei Effekt haben. Wenn etwas eindeutig verboten ist, kann es »richtig« strafrechtlich verfolgt werden, auch im Internet!

Heute veröffentlicht die «ZEIT online» den Artikel «Kampf der Kulturen» von Ralf Bendrath (letzte Woche schon auf netzpolitik.org erschienen):

In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Einer freien? Dann dürfen wir auch im Internet keine Mauern bauen. Ein Kommentar

Und was Ursula von der Leyen am Freitag in diesem Interview auf Radio eins gesagt ist, ist so absolut unglaublich, dass ich mich frage, was darf eine Ministerin öffentlich an Verleumdung und Unterstellung verbreiten, ohne dass – auch wenn sie es in der Dreistigkeit sicherlich so nicht gemeint haben kann – sie dies nachträglich nicht zurechtrückt und sich dafür entschuldigt? Transkription der betroffen machenden Interview-Passage via Golem:

Wir wissen, dass bei den vielen Kunden, die es gibt, rund 80 Prozent die ganz normalen User des Internets sind. Und jeder, der jetzt zuhört, kann eigentlich sich selber fragen, wen kenne ich, der Sperren im Internet aktiv umgehen kann. Die müssen schon deutlich versierter sein. Das sind die 20 Prozent. Die sind zum Teil schwer Pädokriminelle. Die bewegen sich in ganz anderen Foren. Die sind versierte Internetnutzer, natürlich auch geschult im Laufe der Jahre in diesem widerwärtigen Geschäft.

Das ist so absolut unglaublich, das hat sie aber wirklich gesagt, nachzuhören hier:
http://download.radioeins.de/mp3/_programm/8/20090424_zt_kopf.mp3

Es ist – bei allem Verständnis für den politischen (Schau-)Kampf um Wählerstimmen – ein Unding, diesen auf Fehlinformationen fußenden Aktionismus und diese an den Grundfesten des Internets rüttelnde Zensurkampagne auf dem Rücken von missbrauchten KindernSiehe hierzu den Artikel von Christian Bahls, erschienen auf Zeit online am 16.04.2009: «Missbrauchsopfer kämpfen gegen Netzsperren» auszutragen.

So langsam frage ich mich – ernsthaft besorgt um das, was hier in Deutschland passiert: Wer stoppt Frau von der Leyen?

18 Kommentare zu „Sorgen um Webzensur – Wer stoppt Frau von der Leyen?“

  1. Ich betrachte die erwähnte Informationsschere auch mit Sorge. Die klassischen Medien werden Ihrer Informationsrolle immer weniger gerecht und das ist brandgefährlich; ich kann von meinen Eltern ja schlecht erwarten, dass sie Netzpolitik und Bildblog lesen, wenn sie wissen wollen, was sich hinter den Äußerungen irgendwelcher Leyen verbirgt. Danke auch für Deine gute Linkzusammenstellung und die im Vergleich zur twittertypischen Hysterie (“aufgeregtes Gezwitscher ;-)”) nüchterne Einschätzung, dass die Familienministerin vermutlich nicht sagen wollte, was sie sagte. Auch da schließe ich mich Dir an: Wo bleibt die Korrektur und die Entschuldigung?

  2. Naja, sie redet von 20% der “Kunden”, also der KiPo-Kunden, und nicht von 20% der Internetnutzer.
    Daß sie natürlich nicht in der Lage ist, verständliche Sätze zu formulieren, ist schon erschreckend. Aber ich verstehe nicht ganz, warum sich jetzt alle Welt so über diese 20% aufregt.
    Ansonsten volle Zustimmung.

  3. @Henning: Sie ist Berufspolitikerin. Sie erledigt ihre Arbeit, indem sie redet. Sie sollte also reden können und dabei klar zum Ausdruck bringen können, was sie Sagen möchte.

    Es gibt IMO also zwei Möglichkeiten: sie hat das, was sie gesagt hat nicht so gemeint (dann ist sie Politikerin mit schlechtem Handwerkszeug) oder sie hat genau das gemeint, was sie gesagt hat (und dann ist sie in meinem Augen so weit Weg von Gut und Böse, dass sie nicht mehr tragbar ist).

    Das Gestammel, das dort auftaucht ist einer Bundeministerin nicht würdig.

  4. @Faustus: Danke, für die Unterstützung und deinen Retweet.

    @Henning: Nun ja, sie pflegt ja unabhängig von diesem Missverstännis auch das Vorurteil weiter, dass die Zensurlisten nur von versierten, jahrelang geschulten Nutzern umgangen werden können, was – aus den in Gerrits Artikel genannten Gründen – zusätzlich völliger Quatsch ist. Und das Mindeste, wenn so eine – in Bezug auf die 20% – missverständliche Aussage in einem Interview gemacht wird, ist, dass man das danach richtig stellt.

  5. Pingback: Ist gut jetzt, ja? - übermüdet - das Väterblog

  6. 20 % gehen doch noch – sonst nimmt man doch immer wieder gerne den unbelegten Wert von 99,9 % .

    Schade, wenn man eben nur 20% Ahnung von dem hat, wovon man spricht…

  7. @Ute: Danke für den Hinweis auf die Abstimmung im EU-Parlament.

    @Violine: Nun ja, Schäuble hält sich natürlich zurück (es läuft ja alles in seinem überwachungspolitischen Sinn und er möchte hier sicher nicht provozieren).

  8. Danke für das deutliche Statement, Markus.

    Es geht eben nicht um KiPo (die man mit Sperren nicht effektiv eindämmen kann), sondern um Einschränkung der Meinungsfreiheit (die man mit solchen Sperren sehr wohl effektiv eindämmen kann).

    Würde die Ministerin nur viel Geld für nichts aus dem Fenster werfen, könnt man noch mit den Schultern zucken und – ähnlich der Abwrackprämie – das ganze unter Aktionismus und Wahlkampf verbuchen. Aber sie richtet gewaltigen Flurschaden an, ohne das anvisierte Problem auch nur annähernd zu treffen.

    Respekt für Deinen sehr sachlichen Tonfall, Markus!

  9. WIR müssen sie stoppen. Wer denn sonst? Das muss jemand sein, der sich mit diesem Internetz-Dings ein ganz klein wenig auskennt.

    Das sind leider WIR, nicht die da, sondern WIR.

  10. Auch von mir noch DANKE für die Zusammenstellung der Inhalte und Links.
    Das Wesentliche ist ja schon gesagt / geschrieben;-)

  11. Ich danke Euch allen für die Zustimmung. Tut gut, das zu lesen.

    Herr Quintus, danke auch für den Hinweis auf den “Entwurf einer Meldung, die beim Aufruf einer Regierungsseite angezeigt werden soll”. 😉

  12. Pingback: Endstation: World Wild Web? « Mythopoeia 2.0

  13. Pingback: So funktionieren die DNS-Sperren und eine Petition als gelebtes Stück e-Demokratie » Text & Blog – Das Weblog von Markus Trapp

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