Wäre George Orwell ein Blogger gewesen?

Die Orwell'schen Tagebücher werden 70 Jahre später gebloggt

Es ist natürlich müssig, sich vorzustellen, was vergangene Generationen mit den medialen Möglichkeiten unserer Zeit angefangen hätten. Ich denke zum Beispiel oft darüber nach, welchen Spaß die Surrealisten oder Dadaisten mit den Kommunikationsmöglichkeiten von Blogs und/oder Twitter gehabt hätten. Nachträglich auf neue Medienformen transportierten Texten fehlt wahrlich der Charme des Authentischen. Wenn es aber dazu führt, die Vorstellung zu konkretisieren, wie Künstler vergangener Generationen mit den Medien der Neuzeit umgegangen wären, ist dies zumindest eine nähere Betrachtung wert.

Da haben wir zum Beispiel die Tagebücher von George Orwell. Die New York Times stellt das Projekt heute in einem Artikel vor. Die Geschichts- und Medienwissenschaftlerin Jean Seaton von der University of Westminster in London glaubt, dass Orwell wohl ein Blogger gewesen wäre, hätte er schon damals die Möglichkeit gehabt, auf seine im Tagebuch veröffentlichten Gedanken direkte Reaktionen zu bekommen. Das kann man durchaus auch bestreiten. Wissen werden wir es nie. Egal: wenn Menschen auf diesem Weg einen leichten Zugang zu den Orwell’schen Texten bekommen, der mit 46 Jahren schon viel zu früh verstorben war, ist dieses Projekt durchaus zu begrüßen.

“I think he would have been a blogger,” said Jean Seaton, a professor at the University of Westminster in London who administers the Orwell writing prize and thought up the idea of the blog.

Though as prolific as any blogger (his collected writings occupy some 20 volumes), Orwell, who died in 1950, never had the chance to spontaneously publish his thoughts to a waiting public. Now — with some lag time — they are being made available that way at orwelldiaries.wordpress.com.

Artikel in der New York Times: «What George Orwell Wrote, 70 Years Later to the Day»

Die jeweils auf den Tag genau mit 70 Jahren Verspätung veröffentlichten Tagebucheinträge finden sich unter orwelldiaries.wordpress.com. Die Einträge lassen sich – wie es sich für ein Blog gehört – auch per Feed abonnieren.

Quelle der Grafik: New York Times

6 Kommentare zu „Wäre George Orwell ein Blogger gewesen?“

  1. Allerdings 😉

    Was ich eigentlich eher sehe, ist dass dann ein Blog mit Orwells Tagebüchern so eine Mischung aus literarischer Kunstform (die Texte an sich sind ja statisch) und Einwürfen der Leser wird. Eine Freundin von mir unterstreicht in Büchern, die sie liest, immer besonders sinnige Stellen. Etwas in dieser Art, nur mit mehr Inhalt.

  2. Carsten, ich hab mir mal aufgrund Deiner Kommentare kurz die Kommentare im Orwell-Blog angeschaut. Immerhin reagiert jemand von der Westminster-Uni auf die Kommentare (sogar mit Orwell-Gravatar 😉 und stellenweise ergeben sich ganz gute Möglichkeiten der gemeinschaftlichen Textanalyse im Kommentarbereich. Vielleicht haben wir es ja hier auch mit einer neuen Form der Textkritik zu tun?

  3. Pingback: Amys Welt » Blog Archive » Tagebücher & Briefe anderer Leute

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