Festivalbericht Berlinale 2019

Berlinale 2019, hier: im Zoopalast 48 Filme gesehen in neun Tagen, es waren wieder mal fünf bis sechs pro Tag. Ich weiß, das kann man eigentlich gar nicht schaffen. Doch es lohnte sich wieder einmal durchzuhalten, denn man macht immer wieder tolle Entdeckungen im Festivalrausch. So auch wieder geschehen auf meiner 24. (!) Berlinale. Hier die für meinen Geschmack besten zehn Filme der 69. Berlinale, die verlinkten Filmtitel führen zur Inhaltsbeschreibung der Berlinale:

1. Systemsprenger

von Nora Fingscheidt (D 2019)

Die Wikipedia definiert Sytemsprenger wie folgt:

Mit dem Wort Systemsprenger verbindet sich in unterschiedlichen Kontexten der Pädagogik und Psychiatrie das Phänomen, dass es immer wieder Klienten und Klientinnen gibt, die sich nicht ins Hilfesystem zu integrieren scheinen. Sie wechseln häufig die Hilfen und die Hilfeorte, hinterlassen zum Teil große Schäden und halten die beteiligten Fachkräfte über die Maße hinaus in Atem. Als Systemsprenger wird eine Person bezeichnet, die aufgrund ihrer besonderen Verhaltensauffälligkeiten nur schwer in Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe respektive der Behindertenhilfe integriert werden kann.

Mit ihrem Erstlingsfilm hat es Nora Fingscheidt auf Anhieb in den Wettbewerb der Berlinale geschafft und für mich den bsten deutschen Wetbewerbsbeitrag abgeliefert. Mit starkem Schauspielensemble, allen voran die 10-jährige Hauptdarstellerin Helena Zengel, die beim Dreh sogar erst neun jahre alt war. Der Film wurde zurecht mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet.

2. El despertar de las hormigas

von Antonella Sudasassi Furniss (Costa Rica / Spanien 2018)

Jedes Festival hat diese kleinen, stillen Filme. Sie sind nicht spektakulär und bleiben doch im Gedächtnis. «El despertar de las hormigas» (zu deutsch: Das Erwachen der Ameisen) ist so einer. Erzählt wird die Geschichte von Isa, einer Schneiderin die mit ihrer Familie in einer costa-ricanischen Kleinstadt lebt. Isa hat zwei Töchter, ihr Mann wünscht sich noch ein drittes Kind, einen Jungen. Wir erleben Isas hinterfragen ihrer Rolle. Die Geschichte einer Emanzipaion wird von surrealen Elementen begleitet. Sehenswert.

3. Skin

von Guy Nattiv (USA 2019)

Im Panorama hat mich dieser Film des israelischen Regisseurs Guy Nattiv stark beeindruckt. Gezeigt wird die wahre Geschichte des Szeneaussteigers Bryon Widner, der sich vom ehemals rechten gedankengut verabschiedet und als sichtbares Zeichen dieser Abkehr in einer monatlelangen schmerzhaften Prozedur seine Tätowierungen entfernen ließ.

4. Vice

Läuft schon im Kino, könnte heute Nacht mit ein paar Oscars bedacht werden (heißer Kandidat: Chritian Bale in der Rolle des Dick Cheney, unglaublich, man erkennt ihn kaum). Politik im Unterhaltungskino, sehr gut gemacht.

5. La paranza di bambini

von Claudio Giovannesi (Italien 2018)

15-Jährige übernehmen den Drogenhandel in ihrem Viertel, gespielt von Laiendarstellern aus dem Viertel. Harte Lehrstunde in der Entstehung von Mafia-Strukturen.

6. Di jiu tian chang (So Long, My Son)

von Wang Xiaoshuai (China 2019)

Für mich der beste Film der Berlinale: 30 Jahre China. Die Geschichte zweiter Familien, die wegen eines Unglücks den Kontakt miteinander abbrechen. Derweil entwickelt sich China in rasender Geschwindigkeit weiter. Ein Meisterwerk.

7. Synonymes

von Nadav Lapid (Frankreich / Israel / D. 2019)

Noch ein Film eine Israelis. Dieser hat sogar die Berlinale gewonnen. Irre gut: Hauptdarsteller Tom Mercier. Der arme Kerl muss gefühlt die Hälfte des Filmes nackt durchs Bild laufen. Erzählt wird die Geschichte eines Israelis, der nach Paris kommt und so schnell wie möglich seine Nationalität loswerden will.

8. Los miembros de la familia

von Mateo Bendesky (Argentinien 2019)

Bruder und Schwester trauern an der Atlantikküste um die verstorbene Mutter und verarbeiten – während sie sich über ihr Leben klar werden wollen – die Geheimnisse der Familie. Schöne Coming-of-age-Geschichte in der winterlich verlassenen Küstenregion Argentieniens.

9. Shooting the mafia

von Kim Longinotto (Irland / USA 2019)

Sehenswerte Doku über eine ungewöhnliche Frau: Letizia Battaglia ist eine italienische Fotografi, die bekannt ist für ihre Bilder über die Mafia. Der Film zeigt sie als lebenslustige Frau. Ein starker Kontrat zum Sujet ihrer Bilder.

10. Elisa y Marcela

von Isabel Coixet (Spanien 2018)

Der Film über die wahre Geschichte zweier Frauen, die 1901 in La Coruña geheiratet hatten, löste während der Berlinale eine Debatte der Kinobetreiber aus, die forderten, dass der Film erst in Kinos laufen müsse, ehe er auf Netflix, die ihn produziert haben, gezeigt werden dürfe. Eine unsinnige Debatte, wie ich finde. Jedenfalls ein von Coixet gut erzählter Stoff, stark gespielt von den beiden Protagonistinnen Natalia de Molina und Greta Fernández. Demnächst auf Netflix zu sehen. 😉

In diesem Interview spricht Isabel Coixet darüber, wie sie dazu kam, diesen Film zu machen.

3 Kommentare zu „Festivalbericht Berlinale 2019“

  1. Es ist mir wieder eine große Freude, deine persönliche Top Ten zu studieren.
    Ja, Systemsprenger hat auch bei mir einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen – allerdings ist das nach 2 Festivalfilmen auch nicht sooo schwierig wie nach über einer Woche 5-6 Filme/Tag…
    VICE werde ich schon wohl schon sehr bald sehen, anhand des Trailers / Berichterstattung bin ich wirklich auf Christian Bale gespannt.
    Ja, der chinesische Film hätte mich auch interessiert, nur übersteigt der zeitlich etwas meine Aufmerksamkeitsspanne. Mal sehen, ob er hier laufen wird.
    Und auf die spanischsprachigen Filme würde ich mich natürlich alle freuen. Und Synonymes möchte ich mir auch gerne ansehen.

    Etwas aus dem Kontext: hast du auch einen Film aus Russland gesehen? Ich hatte heute einen netten Austausch mit einem russischstämmigen Menschen, der mehrere Filmtipps loswerden möchte und ich muss gestehen, dass ich noch nicht so viele aus RU gesehen habe.

    DANKE noch mal deine klasse Zusammenstellung

    1. Carmen, danke für Deinen Kommentar.
      Zu Deiner Frage: ja, hab auch einen russischen Film gesehen, den ich recht beeindruckend fand: Kislota. Es geht um die Perspektivlosigkeit der russischen Jugend.

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