Festivalbericht Berlinale 2025

Irre, das war bereits meine 29. Berlinale. Und gleichzeitig eine der anstrengendsten. Eiskalte Temperaturen (oft -7 oder -8 Grad), dann der Wechsel in die warmen Kinos, die Wege dazwischen sind in Berlin ja sehr weit, deshalb waren die beiden BVG-Streiktage mit Ausfall der Busse und Bahnen besonders hart. Für die Filme hat sich die ganze Plagerei aber gelohnt.

Hab in neun Tagen 42 Filme gesehen, täglich vier bis fünf, darunter zum Glück nur wenig Totalreinfälle. Viel sehens- und erzählenswertes Kino. Ich hatte ja täglich live auf Bluesky meine Eindrücke geteilt. Hier nun wie immer im Nachklapp meine subjektive TOP 10 im Blog, der Filmtitel verlinkt jeweils auf die Festivalbeschreibung:

1. Sorda

von Eva Libertad, Spanien 2025

Dieser Film ist ein Glücksfall. War mein persönlicher Berlinale-Favorit und hat zurecht den Panorama-Publikumspreis gewonnen. Es geht um eine gehörlose Frau, die Mutter wird. Die Regisseurin hat das Thema u.a. deshalb so realistisch dargestellt, weil ihre Schwester gehörlos ist und auch die Hauptrolle spielte. In der von Gebärdendolmetschern übersetzten Diskussion nach der Vorführung des Filmes haben mehrere Gehörlose ihren Dank zum Ausdruck gebracht, wie nah an ihrer Lebensrealität „Sorda“ umgesetzt ist. Und die Hörenden konnten sich sehr gut in die Situation versetzen, wie es wohl sein mag, seinen Alltag gehörlos gestalten zu müssen.

2. O último azul

von Gabriel Mascaro, Brasilien 2025

Es gibt noch keinen Trailer, hier ein DW-Bericht mit Filmausschnitten:

Der brasilianische Film O ultimo azul war mein Favorit auf den Goldenen Bären gewesen, den Silbernen hat er bekommen. Ein wunderbares Roadmovie über eine 77-jährige Frau, die nicht zum alten Eisen gehören will und die eine faszinierende Wandlung von der unscheinbaren Alten zu einer Abenteurerin durchmacht, auf deren Weg wir einige originelle Menschen und Schnecken mit blauem Schleim kennenlernen.

3. Blue Moon

von Richard Linklater, USA 2025

Es gibt noch keinen Trailer, hier als vorläufigen Ersatz die Pressekonferenz zum Film:

Filme bekannter Regisseure in den Wettbewerben von internationalen Filmfestivals gehören nicht automatisch zu den besseren Filmen. Im Fall von Richard Linklaters Blue Moon war das aber so ein Film. Getragen vor allem von der grandiosen schauspielerischen Leistung von Ethan Hawk und dem für die beste Nebenrolle ausgezeichneten Andrew Scott. Blue Moon erzählt die Geschichte des Songwriters Lorenz Hart. Falls ihr euch fragt, ob ihr den berühmten Song kennt, ich bin mir sicher, ihr kennt ihn: Bitte schön.

4. If I Had Legs I’d Kick You

von Mary Bronstein, USA 2024

Leider auch kein Trailer, daher die Pressekonferenz:

Schauspielerisch sicher das beeindruckendste, was ich je im Kino gesehen habe. Absolut herausragendes Spiel von Rose Byrne, die zurecht den Goldenen Bären als beste Schauspielerin bekommen hat. Sie spielt die Mutter eines kranken Kindes, konstant überfordert von ihrem Alltag als Therapeutin und Mutter. Sehr ungewöhnliche Kamera, immer im schonungslosen Fokus auf die Mutter. Das Kind wird nur im Anschnitt und bis auf eine einzige Ausnahme nie im Profil gezeigt. Ungewöhnlich. Anstrengend. Mitleidend. Aber diesen Film vergisst niemand so schnell.

5. El Diablo Fuma (y guarda las cabezas de los cerillos quemados en la misma caja)

von Ernesto Martínez Bucio, Mexiko 2025

Ein Film, so ungewöhnlich wie sein Titel: „Der Teufel raucht (und bewahrt die Köpfe der abgebrannten Streichhölzer in der gleichen Schachtel auf)“. Als ihre Eltern das Haus verlassen, bleiben fünf Geschwister im Alter von 8 bis 14 Jahren bei ihrer Großmutter. Die Kinder kommen zurecht, aber die Ängste der Großmutter werden nach und nach an sie weitergegeben. Die alte Frau hat Angst, ihr Haus zu verlieren und traut Fremden nicht. Außerdem behauptet sie, den Teufel zu sehen und Geräusche zu hören, die sonst niemand hört. Die Kinder fangen einen Streit mit einigen Nachbarn an, der mit der Tötung ihres Hundes endet. Auf diese Weise werden sie durch ihre Ängste an das Haus und die Welt gebunden.

6. Kontinental 25

von Radu Jude, Rumänien 2025

Regisseur und Drehbuchautor Radu Jude hat einen Film über eine moralische Krise gemacht. Der Film ist wie sein Titel eine Hommage an Rossellinis Europa ’51. Die Hauptfigur Orsolya ist eine Gerichtsvollzieherin. Sie fühlt sich schuldig am Selbstmord eines Obdachlosen, dessen Räumung aus einem illegalen Kellerversteck sie durchsetzen musste. Orsolya ist zu gut für diese Welt. Man möchte ihr zurufen: Du musst mehr Abstand zu Deiner Arbeit haben. Gleichzeitig bewundert man die Empathie dieser Frau. Und wird als Zuschauer gleichzeitig mit der sozialen Not und gesellschaftlichen Kälte im Rumänien des Jahres 2025 konfrontiert.

7. Yunan

von Ameer Fakher Eldin, Deutschland 2025

Leider auch noch ohne Trailer, als Ersatz die Filmvorstellung im Berlinale-Talk:

Munir zieht sich von Hamburg aus auf eine nordfriesische Hallig zurück. Um eine Entscheidung zu treffen, sucht er bewußt die Einsamkeit. Er kommt unter bei der Gastwirtin Valeska, gespielt von der wunderbaren Hanna Schygulla, die man während des ganzen Filmes einfach nur umarmen möchte. Anfängliches gegenseitiges Misstrauen der beiden Figuren weicht einer vorsichtigen Nähe und einem geheimnisvollen Verständnis. Ein Film über Vertreibung und Heimat auf mehreren Ebenen.

8. Ich will alles. Hildegard Knef

von Luzia Schmid, Deutschland 2025

Wir tauchen dank dieser Doku mit sehr vielen Originalaufnahmen in fünf Jahrzehnte der Karriere von Hildegard Knef ein. Eine Karriere mit sehr vielen Höhen und Tiefen. Auch das zeigt die Doku der Schweizer Filmemacherin. Zum Glück nicht nur ein Biopic mit schönen Liedern, die man gerne wieder hört, sondern – auch durch die Mitarbeit und die Interviews von Knefs Tochter Tinta – ein Film, der einem die Autorin von „Der geschenkte Gaul“ näher bringt. Und immer wieder die großartigen, scharfen Kommentare der Knef, die in Interviews oft mit recht fragwürdigen Aussagen konfrontiert wird: „Sie machen aus mir 24 Personen auf einmal“.

9. Köln 75

von Ido Fluk, Deutschland 2025

Dieser Film ist so unglaublich wie die wahre Geschichte, die er erzählt. Eine 18-Jährige hat sich gegen alle Widerstände 1975 in den Kopf gesetzt, in Köln ein Konzert des Jazz-Musikers Keith Jarrett zu organisieren. Alles sprach gegen die Realisierung, nicht zuletzt der Musiker selbst, der bis kurz vor Konzertbeginn ob der widrigen Umstände das Konzert absagen wollte. Wie nah der Film an der wahren Geschichte ist, zeigt dieser kurze Beitrag des Schweizer Fernsehens SRF zum 50. Jahrestag des berühmten „Köln Concerts“, dessen Aufnahme zu einer der meistverkauften Jazzplatten aller Zeiten wurde.

La cache

von Lionel Baier, Schweiz/Frankreich 2025

Wie gut, dass es auch Komödien gibt auf Festivals, sonst würde man den Reigen der Filme mit so ernsten Themen gar nicht aushalten. Auch La Cache hat eine ernste Thematik, die Geschichte der jüdischen Familie Boltanski. Aber sie wird humorvoll – dabei keineswegs oberflächlich – erzählt. Der Film basiert auf dem Roman, den Christophe Boltanski, Neffe des berühmten bildenden Künstlers Christian Boltanski, über seine Familie geschrieben hat. Großartig das Spiel des kleinen Jungen. Etwa, wenn er sich aus dem Kleiderschrank der Großmutter mit alten Klamotten ausgerechnet eine Jacke mit einem Judenstern aussucht, den er für einen Sheriffstern hält. Da bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Traurig: der Film war der letzte von Michel Blanc, der den Großvater spielt, und nach den Dreharbeiten verstarb. Skurill: der berühmte politische Gast, der Zuflucht bei der Familie sucht, als 1968 die Studentenunruhen in Paris tobten. Ich mag nicht spoilern; geht in den Film, es lohnt sich. 🙂

2 Kommentare zu „Festivalbericht Berlinale 2025“

  1. Und da ist sie schon!!! Danke für deine persönlichen Top Ten mit so vielen Zusatzinfos UND deinen subjektiven Einschätzungen.
    Immerhin hab ich 3 davon gesehen und kann allen Menschen, die das noch lesen werden, nur empfehlen, SORDA zu schauen. Ich hab schon viele Filme über Gehörlose gesehen UND dieser ist wirklich ganz besonders.
    6 von den 7 anderen hatte ich in meiner Favoritenlisten, ging sich dann aber mit den Tagen/Uhrzeiten nicht aus.
    Bei vielen bin ich sicher, dass ich sie noch sehen werde (z.T. steht ja schon der Kinostart fest), auf den brasilianischen und mexikanischen hoffe ich sehr – wie immer bin ich auch bereit für einen Ausflug nach Hamburg…
    DANKE nochmals und jetzt erstmal Leonie Benesch und A COMPLETE UNKNOWN schauen, auch wenn sie es nicht unter die Top Ten geschafft haben

    1. Die „Heldin“ mit Leonie Benesch hab ich gar nicht gesehen, der ist bestimmt toll. Und „A complete Unknown“ fand ich auch sehr gut (wie gepostet), er hat es nur nicht in meine Top 10 geschafft.

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