Festivalbericht Berlinale 2024

Zoo-Palast 2024

Bei meiner 28. Berlinale – ich besuche das Festival seit 1995 und hab es seither nur zwei Mal ausgelassen – hab ich wie immer versucht, so viele Filme wie möglich zu sehen. Bei insgesamt 41 Filmen hab ich in den über die Hauptstadt verstreuten Kinos gesessen und wieder einmal sehr unterschiedliches und sehr gutes Kino gesehen. In der Folge stelle ich meine persönliche Top 10 vor, die Titel verlinken in den Katalog. Die Reihenfolge stellt keine Wertung da. Dies waren für mich die besten Filme, die ich zum Nachschauen empfehlen kann:

Crossing

von Levan Akin, Schweden / Dänemark / Frankreich / Türkei / Georgien 2024

Oftmals sind die Filmbeschreibungen in den Katalogen der Festivals wenig hilfreich. Das gilt nicht für die Beschreibung des wunderschönen Films „Crossing“:

Die Topografie der Stadt spielt in dieser Ode an die Menschlichkeit eine ebenso große Rolle wie der Reigen an Figuren, der sie bevölkert.

Wir erleben den Film hauptsächlich aus der Perspektive von Ada (fantastisch gespielt von Mzia Arabuli), einer pensionierten Lehreren, die sich von Georgien aus auf die Suche nach ihrer Nichte Tekla macht, die untergetaucht ist und nicht gefunden werden will. Angeblich lebt sie in Istanbul, das ist die im Zitat genannte Stadt, die selbst eine Hauptrolle spielt, genau wie die dort lebenden und suchenden Menschen. Ein Film, der ans Herz geht, ohne auch nur eine Spur kitschig zu sein.

La Cocina

von Alonso Ruizpalacios, Mexiko / USA 2024

In Küchen spielende Filme und Serien sind in: „The Bear“ lässt grüßen. Der mexikanische Regisseur Alonso Ruizpalacios nimmt uns in „La Cocina“ mit in ein Schnellrestaurant auf dem New Yorker Time Square. Dass einem die Inszenierung manchmal wie ein Theaterstück vorkommmt, kommt nicht von ungefähr: der Film basiert auf dem gleichnamigen Bühnenstück von Arnold Wesker. Filmisch sehr gut umgesetzt, wenn die Kamera in fast rauschhafter Geschwindigkeit die Hektik der Küche, das sich gegenseitig anfauchende Personal und den Weg des Essens nach draußen in beinahe schwindelerregendem Tempo verfolgt. Gezeigt wird ein streng hierachisch und korrupt ausgebautes System, dass nur durch die Ausbeutung von Menschen mit – meist mexikanischem und südamerikanischem – Migrationshintergrund funktioniert.

Sex

von Dag Johan Haugerud, Norwegen 2024

Ein abgefahrener Plot, der viel über männliches Selbstverständnis sagt. Ein heterosexueller Schornsteinfeger schläft mit einem männlichen Kunden und berichet seinem befreundeten Kollegen darüber. Der wiederum gesteht, sich nachts im Traum selbst als Frau zu sehen. Es macht großen Spaß die langen Dialoge der beiden Freunde angesichts dieser ungewöhnlichen Situation zu verfolgen. Und wie sie verstört bzw. verwirrt auf die gegenseitigen Geständnisse reagieren. Der Film erinnert oft an Kaurismäki, nur, dass hier die Personen wesentlich mitteilsamer sind. 😉

A Traveler’s Needs – Yeohaengjaui pilyo

von Hong Sangsoo, Südkorea 2024

Man hat Isabelle Huppert noch nie so tantig gesehen wie in Hong Sangsoos neuestem Film. Sie spielt – und dies absolut brilliant – eine Französischlehrerin in Südkorea auf dem Selbstfindungstripp mit – sagen wir mal – ungewöhnlicher Lehrmethode. Sie wohnt bei einem jungen Südkoreaner, dessen Mutter unangekündigt zu Besuch kommt und es ganz und gar nicht gut findet, dass ihr Sohn eine Fremde aufgenommen hat.

Andrea lässt sich scheiden

von Josef Hader, Österreich 2024

Für mich der beste Film über alle Reihen hinweg. Wieso der nicht im Wettbewerb, sondern „nur“ im Panorama lief, versteht nur die Programmkommission der Berlinale. Vielleicht war er der Berlinale nicht überraschend genug, denn natürlich weiß man schon in etwa, was einen erwartet, wenn Hader einen Film macht, der die niederösterreichische Provinz vorführt. Aber ich bin froh, dass Hader hier wieder die erwartbare kabarettistische Qualität abgeliefert hat. Gekrönt von einem großartigen Cast, allen voran neben dem Altmeister selbst die unfassbar gute Birgit Minichmayr und an ihrer Seite der Kollege Thomas Schubert, letztes Jahr noch auf der Berlinale als Hauptdarsteller von Petzolds „Roter Himmel“. Ein Plot, der sich anhört wie der gespielte Witz (Polzistin überfährt Ehemann, von dem sie sich scheiden lassen will, begeht Fahrerflucht und ermittelt selbst den Unfall, bei dem der unschuldige Hader der Haupttatverdächtige ist), wird von allen Beteiligten so souverän umgesetzt, dass es nur so eine Freude ist, dies anzuschauen.

Mit einem Tiger schlafen

von Anja Salomonowitz, Österreich 2024

Das Lob für Birgit Minichmayr kann bei diesem Film getrost fortgesetzt werden. Sie brillierte auf der Berlinale nicht nur im Panorama, sondern auch in diesem Forums-Beitrag. Die Minichmayr ist einfach – passend zum Titel – ein Tier. Wie sie die Malerin Maria Lassnig (1919 – 2014), die ich gar nicht kannte, verkörpert, ist einfach nur grandios. In dem schrägen Biopic von Anja Salomonowitz greifen Spielszenen und dokumentarische Sequenzen ineinander.

Memorias de un cuerpo que arde

von Antonella Sudasassi Furniss, Costa Rica / Spanien 2024

In diesem höcht beeindruckenden Film geht es um das Thema Sexualität von Frauen, rückblickend auf das Leben, aber auch um Sexualität im Alter. Die Regisseurin Antonella Sudasassi Furniss war vor Ort in Berlin und hat von den Vorbereitungen zu diesem Filmprojekt berichtet: sie hat zahlreiche Interviews mit Frauen geführt. Die sehr intimen Geständnisse der Frauen hat sie in „Memorias de un cuerpo que arde“ sehr respektvoll und einfühlsam umgesetzt. Wer diesen Film sieht, vergisst ihn so schnell nicht. Dass es der Regisseurin aus Costa Rica darum ging, einen Film zu machen, der auf wahren Zeugenaussagen beruht, schildert sie auch in dem gut anzuhören Filmgespräch, dass Knut Elstermann für Radio eins des rbb mit ihr geführt hat. Der Film wurde vollkommen zurecht mit dem Panorama Publikums-Preis ausgezeichnet.

Sterben

von Matthias Glasner, Deutschland 2024

Drei Stunden über das Thema Sterben. Harte Kost. Aber, wer sich drauf einlässt, wird nicht das Gefühl haben, zu lange im Kino gesessen zu haben. Auf einem Festival mit vier bis fünf Filmen pro Tag ist es eine zusätzliche Belastung. Aber an einem Kinoabend ertragbar. Ab 25. April besteht in Deutschand die Gelegenheit dazu. Regisseur und Drehbuchautor Matthias Glasner wurde auch mit dem Silbernen Bären für das beste Drehbuch der diesjährigen Berlinale ausgezeichnet. Das Thema Sterben wird aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Immer geht es um zerrüttete Familien. Getragen – und damit ertragbar – wird das Ganze vom starken Cast: Lars Eidinger als Dirigent, seine Mutter wird gespielt von Corinna Harfouch und sein Freund und Komponist des Titelstückes „Sterben“, der nicht mehr leben will, wird von dem starken Robert Gwisdek dargestellt.

Vogter

von Gustav Möller, Dänemark / Schweden 2024

Ein toller Film, nicht nur für Borgen-Fans. Wer Sidse Babett Knudsen in der Rolle der dänischen Ministerpräsidentin in der Serie Borgen gesehen hat, freut sich nicht nur, sei hier wiederzusehen, sondern erkennt auch, welche Bandbreite ihr Spiel hat, das sie hier einen komplett unterschiedlichen Charakter darstellt. Als Gefängniswärterin in einer nahezu existenziellen Auseinandersetzung mit dem gefangen Mikkel. Ein Psychothriller, der mehr als nur einen Einblick in den Horrer von Vollzugsanstalten gibt. Es geht um Rache, Idealismus und geistige sowie physische Brutalität.

The Outrun

von Nora Fingscheidt, Vereinigtes Königreich / Deutschland 2024

The Outrun
Rona (Saoirsa Ronan). Es gibt leider noch keinen Trailer, wird hier eingesetzt, sobald verfügbar.

Der Film der deutschen Regisseurin Nora Fingscheidt (bekannt durch „Systemsprenger“) basiert auf den autobiographischen Aufzeichnungen von Amy Liptrot, die von den schottischen Orkney-Inseln stammt und über ihre Alkoholabhängigkeit schrieb. Hier ist es Rona, die auf die Orkney-Inseln zurückkehrt. Sie wird unheimlich beeindruckend von Schauspielstar Saoirse Ronan gespielt. Ein Parforceritt im Kampf gegen die Dämonen und gegen den Alkohol. Bleibt lange im Gedächntnis.

Zwei Schlußbemerkungen. Ja, den Berlinale-Gewinner Dahomey, die frazösische Dokumentation über die Rückgabe von Benin-Bronzen, habe ich auch gesehen und es ist ein guter Film. Aber in meine persönliche Top 10 hat er es eben nicht geschafft. Und formal beeindruckt hat mich noch der kolumbianische Wettbewerbsbeitrag Pepe, der die Geschichte eines Nilpferdes und des kolumbianischen Drogenbosses Pablo Escobar formal sehr beeindruckend verknüpft.

4 Kommentare zu „Festivalbericht Berlinale 2024“

  1. Ich freue mich sehr über die jährliche persönliche „best of“ Liste und bin schon sehr gespannt, welche Filme davon nach Lübeck kommen (alternativ auch mal Hamburg). Leider hab ich dieses Jahr ja keinen einzigen in Berlin sehen können, so dass ich hoffentlich viele Kinobesuche übers Jahr verteilt einplanen kann. Werde ggfls hier noch mal kommentieren:-)
    DANKE, dass du dir immer wieder die Zeit nimmst, uns die Streifen vorzustellen (nicht ganz passend bei den digitalen Produktionen, ich weiß), die dich am meisten beeindruckt haben.

      1. Bislang leider nur den sehr unterhaltsamen u d auf seine Weise spannenden Hader Film.
        STERBEN hab ich verpasst bzw waren mir 3 Stunden einfach zu lange, auch wenn mich das Thema sehr interessiert und die Umsetzung bestimmt großartig ist
        Mmentan frage ich mich, ob ich Dahomey schauen sollte, der läuft nächste Woche in Lübeck

        Letztes Jahr waren es auf jeden Fall mehr…

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