Erzwungener Fan-Boykott im Rostock-Spiel am Millerntor: Ultras treten Fanrechte mit Füßen

Beklemmende Sitaution am von den Ultras blockierten Eingang zur Südkurve

Wir haben heute in einem wichtigen Spiel gegen Hansa Rostock 2:0 gewonnen. Das war das Positive, was wir heute als Fans des FC St. Pauli erfahren durften. Dem ging aber etwas voraus, was so ungeheuerlich ist, dass ich immer noch nicht glauben kann, dass Fans eines Vereines so dermaßen respektlos mit anderen Fans (des gleichen!) Vereines umgehen, wie es heute die Ultras in der Südkurve gemacht haben. Man kann von Glück sagen, dass die mit diktatorischer Selbstherrlichkeit unterdrückte Mehrheit der Fans, die ihre Plätze in der Südkurve einnehmen wollten, so besonnen waren, eine aufkommende Panik zu vermeiden.

Was war geschehen?

Die Ultras beschlossen, dass die ganze Südkurve aus Protest gegen die Beschränkung des Kartenkontingentes für die Rostock-Fans die Stehplätze auf der Süd während der ersten fünf Minuten leer lässt und erst dann die Süd betritt. Viele Fans, und dazu gehörte auch ich, fanden diese Aktion nicht zielführend und auch nicht unterstützenswert. Ich vertrete die Meinung, wer einen solchen Protest machen möchte, der soll das tun, aber die anderen, die sich diesem Protest nicht anschließen möchten, dürfen nicht gewaltsam davon abgehalten werden, ihre Stehplätze in dem Moment einzunehmen, in dem sie es für richtig halten. Unverantwortlicherweise haben einige wenige (gut vorbereite und früher ins Stadion hinein gelassene) Ultras dann innerhalb des Stadions die Zugänge blockiert. Wir standen in dem Bereich, der auf obigem Foto zu sehen ist, und wurden nicht durchgelassen.

Ich hatte wirklich die große Befürchtung, wenn der Druck der dahinter liegenden Menschenmenge (immerhin einige Hundert) zu groß werden würde, dass es zu einer Panik kommen könnte. Wir haben die Sicherheitskräfte auf diese Gefahr angesprochen und die meinten nur, sie hätten die Info weitergegeben und könnten ansonsten nichts tun. Man mag vermuten, dass weder von der Polizei noch von den Ordnern eingegriffen wurde, um die Situation nicht eskalieren zu lassen. Da vorne vor der ins Stadion drängenden Masse zu stehen, die sich lauthals gegen diese ungerechtfertigte Anmaßung von Hausrechten, die die Ultras gar nicht haben, zu wehren, war jedenfalls alles andere als ein gutes Gefühl.

Was für eine widersprüchliche Situation: Die Ultras wollen sich wegen der Beschränkung der Karten für Rostock-Fans für Fan-Rechte einsetzen und beschränken den eigenen Fans des FC St. Pauli den Zutritt zum Spiel zu dem Zeitpunkt, den diese gute finden. Sie beschränken somit unsere Fanrechte. Absolut unverantwortlich. Heute ist sehr viel an Fan-Kultur kaputt gegangen und die Ultras haben für mich jegliche Legitimation verloren, diese Aktion als eine gemeinsame Aktion der Südkurve zu verkaufen. Es war ein 5-minütiger Boykott, der nur unter Zwang und passiver Gewalt entstanden ist, und der letztlich nur durch unsere besonne Art nicht dazu geführt hatte, dass es zu nicht zu Schlimmerem gekommen war. Der Spieltag hat für mich zwei Verlierer: den FC Hansa Rostock und die Ultras.

Erik, der von dieser schlimmen Entwicklung heute genau so geschockt war wie die meisten in der Südkurve, hat ebenfalls deutliche Worte für dieses die Fankultur mit Füßen tretende Verhalten der Ultras gefunden: Stadionschutz Ultra Sankt Pauli.

Update I, 23:45 Uhr – MoPo: Krieg der St. Pauli-Fans.

Update II, 29.3.10, 16:40 Uhr – Spiegel Online: Blockade statt Boykott auf St. Pauli –Wie weit dürfen Ultras gehen?

Update III, 29.3.10, 17:15 Uhr – Santa Pauli:

Was nach außen wie eine solidarisch leere Südkurve aussah, war innen eine Zwangssolidarisierung übelster Sorte.

Auch Jekylla hat deutliche Worte gefunden und beschreibt nachvollziehbar, welchen Schaden die USP angerichtet haben: Fanrechte: die Freiheit der Andersdenken und USP.

Update IV, 29.3.10, 19:45 Uhr – ZEIT online:

Weil sie andere Fans zum Boykott zwangen, haben die St.Pauli-Ultras weiteren Kredit verspielt.

St.Pauli-Ultras – Wie männliche Cheerleader.

Update V, 30.3.10, 13:00 Uhr – 11 Freunde:

Am Sonntag protestierten Ultras des FC St. Paulis gegen die Beschneidung von Fanrechten – indem sie Fanrechte beschnitten. Die Aktion zeigt vor allem eines: In keinem Stadion wirken die Ultras so deplatziert wie am Millerntor.

Ultramoderne am Millerntor & Interview mit Sven Brux: Wie St.Pauli-Fans die Blockade sehen: »Eine Gratwanderung«.

70 Kommentare zu „Erzwungener Fan-Boykott im Rostock-Spiel am Millerntor: Ultras treten Fanrechte mit Füßen“

  1. @Jekylla:: Danke für den Hinweis auf den wichtigen Text von Sven Brux. Zur besseren Auffindbarkeit: er findet sich als Eintrag von fcstpauli-Sven mit dem Zeitstempel 30.03.2010 16:21.

  2. Ist doch arm, wenn eine Vereinsfühung in Zusammenarbeit mit Sicherheitskräften nicht in der Lage ist, seine Zahlenden Gäste zu schützen. Ich empfinde den Kommentar als ein reines herunterspielen des eigenen Versagens.

  3. Ich sehe das als Dabeigewesene trotz anfänglichen Unverständnisses allerdings mittlerweile genauso.

    Die “Selbstregulierung” der Streikbrecher hat Gottseidank funktioniert.

    Dass man Fans allerdings vor eigenen Fans schützen muss, ist schon vom Grundgedanken her sehr gruselig.

  4. Ich habe soeben eine Stellungnahme des Fanclubsprecherates (FCSR) gelesen und bin schockiert!
    Die Quintessenz:
    Sie bedauern die Umsetzung, aber sie unterstützen die Blockade!
    Wir brauchen einen neuen FCSR! Mein Vertrauen hat der nicht mehr!
    Ich werde in meinem Fanclub alles daran setzen, dafür eine Mehrheit zu bekommen, den FCSR zum Rücktritt aufzufordern!

  5. @Ulli: Der Grad an Uneinsichtigkeit des FCSR ist schon erschreckend. Eine Entschuldigung für die ungeheuerlichen Vorgänge sucht man dort genau so vergeblich, wie eine nachträgliche Einsicht in die Tatsache, dass Fans nicht mit Gewalt gegen Fans (weder die eigenen, noch die des Gegners; weder aktiv, noch passiv) vorgehen dürfen. Nie und unter keiner Prämisse.

    Zur Info für die Mitlesenden: der heute veröffentlichte Text, um den es geht, ist hier zu lesen:

    Stellungnahme des FCSR zum letzten Heimspiel

  6. Wir sollten die Gründung eines Fanclubs ernsthaft in Erwägung ziehen. Von 254 (oder 253?) registrierten Fanclubs haben gerade mal 18 den Boykottaufruf unterschrieben. Finden Sie den Fehler?

  7. @Jekylla: Wow, ich wusste gar nicht, dass es so viele registrierte Fanclubs gibt. Nun werden die 18 unterzeichnenden Fanclubs wahrscheinlich argumentieren, dass sie eben die “aktiven” Fanclubs sind, und die anderen einfach kein Engagement zeigen. Aber da sind mir die anderen 230 + x irgendwie sympathischer, denn die haben mich bisher zu nichts gezwungen, was ich nicht machen wollte.

  8. Da kann man eigentlich nur noch mit dem Kopf schütteln. Da gab es ganz offensichtlich ein erhebliches Informationsdefizit. In diesem Sinne finde ich die Aussage des Fanclub-Vertreters von Braun-Weisse Apple am Ende des Textes bezeichnend:

    18 von 254 eingetragenen Fanclubs haben da ein Süppchen gekocht; die anderen (die noch nicht einmal informiert wurden) sollen das nun ausbaden? – Ohne uns!

  9. @Markus:

    Das hat mit Polemik nichts zu tun. Was mich nervt, ist diese Opfer-Ästhetik, die nach ‘ner halben Woche langsam mal durch sein sollte. Piet oben z.B. (insb. #30) hat wesentlich besser verstanden, was ich sagen wollte.

    Solange Revanchismus herrscht, wird’s nicht besser!

  10. @Dajan: Entschuldige bitte, aber ich kann mich mit Deiner Wortwahl (Selbstbeweihräucherung, Opfer-Ästhetik, Revanchismus) nicht einverstanden erklären: Die Tatsache, dass Einige der Zwangsbeteiligten an dieser Blockade in der Konfrontationssituation selbst nachgegeben haben, um eine durchaus drohende Eskalation zu vermeiden und dass diese Menschen danach deutliche Worte dafür finden, dass sie mit dem Verhalten der Blockierer überhaupt nicht einverstanden sind, hat nichts, aber auch gar nichts, mit Revanchismus zu tun.

  11. Nanana… 😉 (@ Dajan)

    #30 geht drüben bei Curi0us (Peng) weiter und mündet im Forum bei meinem Zwiegespräch mit pusch. Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass USP (jaja, plus 18 oder so) den Rest genötigt hat und dieses ein verdammt fataler Fehler war, nicht, weil das Ziel nicht erreicht wurde, sondern aus prinzipiellen Erwägungen heraus. Ich würde zwar nie so weit gehen, ein Verbot von USP oder die Auflösung oder so’n Tüdelkram zu fordern, aber die Bitte um Entschuldigung und spürbare Einsicht in die Fehler (s. Doc No) erwarte ich in jedem Fall.

  12. Vielleicht sollte hier mal darauf hingewiesen werden, dass es einerseits in der Tat eine mehr als fragwürdige Aktionsform von Seiten der USP gegeben hat, andererseits aber auch eine mindestens genauso fragwürdige Repression im Vorfeld des Spieles.

    Wieso interessiert das niemand?

    Sicherlich ist es notwendig USP für ihr Verhalten zu kritisieren. Dumm ist in diesem Zusammenhang auch, dass wenn sie es etwas cleverer (vielleicht keine Blockade, sondern als Provo ein Block in anderen Farben oder wie auch immer….) angestellt hätten bestimmt mehr Leute solidarisiert hätten. OK, das müssen die USP selber ausdiskutieren und ich gehe davon aus, dass sie das auch zur Genüge tun werden…

    So und nun zu uns “Nicht-USPlern”:
    Wieso haben nicht andere auch über Aktionsformen gegen diesen Akt der Repression nachgedacht und diese eingebracht. Es ist billig jetzt USP zu kritisieren, wenn niemand selbst aktiv wurde.

    Es ist ein Armutszeugnis, dass ausschließlich ein kleiner Teil der Fanszene gegen diese Repression gehandelt hat.

    USP haben diese Aktion auch für uns gemacht, auch wenn viele das wohl nicht verstehen. Und dafür danke ich ihnen auch.

    Wenn man sich anhören mußte wie manche Fans dann plötzlich auf die Aktion der USP reagierten, dann habe ich kurz auch mal das Gefühl gehabt, dass ich Fan vom falschen Verein bin. Was ging hier eigentlich ab?? Da fehlten mir teilweise die Worte…rassistische Äußerungen im St.Pauli-Fanszene??? NO WAY!!! Ganz egal wie kritisierenswert die USP-Aktion war…

    Versagt haben wir alle und nicht nur USP…insofern ist es jetzt auch falsch die Schuld den USP zuzuschieben.

    Wir sollten die Aktion der USP kritisch auswerten und wir sollten uns alle (auch mit den USP!!!!) zusammensetzen und eine klare GEMEINSAME Antwort auf die Repression finden. Denn dies ist das eigentliche Problem (gewesen).

  13. USP hat für mich gar nichts getan, im Gegenteil: Denn wenn, hätte ich freiwillig mitgemacht. Die Sache „Fan-Rechte“ war schließlich vorher bekannt. Es ist ein Ammenmärchen, dass noch mehr Aufklärung zu mehr Zustimmung zu den Repressionen geführt hätte.

    Aber schon interessant: Erst versucht man sich in Täter-Oper-Umkehr (die Blockierer seien die wahren Opfer, die sich als „Streikbrecher“ übenden Opfer seien die eigentlichen Täter), und nachdem das nicht verfängt, versucht man nun, ein paar Tage vor Bekanntgabe der Sanktionen, die Tat, die Repressionen der Ultras und Ultra-nahen Gruppen zu relativieren (!), indem man die Opfer zu Rassisten erklärt! Wie feige und ekelhaft ist das denn!

    Und wie durchschaubar, erst im Forum, dann in den Blogs. Abgesprochen? Aber nie nicht…

    Ihr kotzt mich so an! Wenn ihr Repressionen geil findet, steht dazu! Und steht dazu, dass die Mehrheit sich dagegen ausspricht!

    P.S. Es hat in Reaktion auf die Repressionen zu Recht wütende Reaktionen gegeben, einige davon gingen über das erträgliche Maß hinaus. In dieser Frage besteht sicherlich kein Dissens. Wie ich hörte, besteht dieses Problem in der Südkurve schon länger — dann wird es höchste Zeit, dass es angegangen wird. Hat aber mit dem Thema des „Kampfes gegen Repressionen“ mit dem Mittel der Repression nichts zu tun.

  14. An dieser Stelle eine Frage: es wurde sich doch so groß aufs Banner geschrieben, die Aktion sei mit FCSR und Fanladen abgesprochen gewesen.

    Wieso sagt der FCSR in seiner Stellungnahme jetzt, dass er von Blockade nichts wußte? Wer hat denn da so eigenmächtig die Spielregeln geändert und versucht jetzt, mit dem Rassistenvorwurf die Opfer zu Tätern hochzustilisieren? Das ist ein ganz billiger Versuch, wo langsam die Rechtfertigungsargumente ausgehen. Schön auch, wie beim Übersteiger aus dem einstigen Verbündeten auf einmal “die Hippies” werden. Eine schöne Aktion, über den Kopf des FCSR hinweg aus einem Boykott eine Blockade zu machen

    Welchen weiteren Beweis für Eigenmächtigkeit und Verletzung von Absprachen braucht man noch?

    Vorher noch groß rumgehupt, dass der FCSR ja und und und … und nun? Jetzt waren es die bösen Rassisten. Und ausgerechnet kurz vor der Verhandlung über Sanktionen. Bißchen sehr auffällig.

    Diese überhastete, planerisch katastrophale Aktion schönreden klappt nicht. Und zu Solidarität kann man niemanden zwingen. Und wer das tatsächlich glaubt, hat in der Tat ein äußerst seltsam anmutendes Verständnis von Demokratie und Meinungsfreiheit. Ohne das näher zu benennen.

    Warten wir einfach den Freitag ab.

  15. Piet und Jekylla: ich danke Euch für die deutlichen Stellungnahmen zum Kommentar von Paul, denen ich mich nur anschließen kann. Es bleibt dabei: wer Fans zu etwas zwingen will, was die nicht möchten, muss sich fragen lassen, ob er korrekt gehandelt hat. Die einhellige Meinung ist hier – und da ändern auch keine seitenlangen Diskussionen etwas dran: das geht überhaupt nicht. Unter gar keinen Umständen.

  16. Ich hatte Piets Beitrag noch nicht mal gelesen, als ich meinen schrieb. Aber ich freue mich, dass ich nicht alleine unter “Verfolgungswahn” leide oder völlig undenkbaren Verschwörungstheorien anheimgefallen bin. Aber es scheint, als schwärmten sie jetzt mir virtuellen Flyern aus…
    Es ist bald Freitag.

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