Nicht WIR haben über unsere Verhältnisse gelebt, Frau Merkel

Die Einschätzung der aktuellen Bundesregierung schwankt in weiten Teilen der Bevölkerung zwischen unfähig und untätig. Man fragt sich beinahe ein Jahr nach der Bundestagswahl vom 27.9.2009 als Wähler in diesem Land, was man sich an schamloser Lobby-Politik einerseits (Atom, Hotel) und andererseits ausbleibendem verantwortlichen Handeln, sprich Regierungsuntätigkeit auf wichtigen Feldern, so gefallen lassen muss. Und da, wo die Regierung etwas tut, kommt einem das kalte Grauen: Die Laufzeiten der Atomkraftwerke gegen alle bereits getroffenen Abmachungen und gegen alle Gutachter-Expertisen nun – koste es was es wolle – auf Druck der Atom-Lobby verlängern zu wollen (siehe Tagesspiegel über die Motive eines der “Druckmacher” in dieser Angelegenheit, des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Stefan Mappus), ist nur eines der unerträglichen Vorhaben der Regierung Merkel-Westerwelle.

Politbarometer vom 16.7.2010: Die schwarz-gelbe Koalition hätte momentan keine Mehrheit mehr
Politbarometer vom 16.7.2010: Die schwarz-gelbe Koalition hätte momentan keine Mehrheit mehr.

Ganz ehrlich: Wie lange müssen wir diese unfähige Regierung eigentlich noch ertragen? Die Umfragewerte von Schwarz-Gelb gehen – wen wundert’s – weiter dramatisch in den Keller. Mittlerweile bereut natürlich ein Großteil der Menschen, die im vergangenen September die schwarz-gelbe Koalition ins Amt gewählt haben, dies getan zu haben. Doch genau deshalb wird die in sich extrem verstrittene Koalition Neuwahlen mit allen Mitteln verhindern wollen.

Die Äußerung Merkels, Deutschland habe über seine Verhältnisse gelebt, die nicht nur mich, sondern ganz viele Menschen in den letzten Wochen sehr verärgert hat, wird in der neuen Ausgabe der Zeitschrift Wirtschaftsdienst von dem Volkswirtschaftler Prof. Jürgen Kromphardt (TU Berlin) gründlichst widerlegt:

Die Bundesregierung hat ein „Sparpaket“ verabschiedet, das die Bundeskanzlerin so begründet: Deutschland habe über seine Verhältnisse gelebt, und es müsse durch Wachstum aus der Krise herauskommen. Das Sparpaket wird dies jedoch nicht leisten; denn die erste Aussage trifft nicht zu; sie hat die Bundesregierung irre geleitet.

Über seine Verhältnisse hat in Deutschland der Staat gelebt, indem er mehr Geld ausgegeben als eingenommen hat. Ein großer Teil seines Budgetdefizits dient derzeit dazu, der Finanz- und Wirtschaftskrise entgegenzusteuern. Über seinen Verhältnissen hat auch das „Ausland“ gelebt. Zwar ist in der Finanz- und Wirtschaftskrise die ausländische Güternachfrage zurückgegangen. Aber nach wie vor kauft das Ausland mehr Güter von Deutschland, als es uns verkauft, und es verschuldet sich bei uns. Dies lässt sich an den Leistungsbilanzüberschüssen ablesen. Der private Sektor in Deutschland hat dagegen unter seinen Verhältnissen gelebt: Er hat weniger für sich an Gütern verwendet, als er produziert hat, und dadurch hohe Ersparnisse gebildet. Er hat damit das staatliche Budgetdefizit weit überkompensiert. Seine Produktion konnte er in diesem Umfang jedoch nur verkaufen, weil Ausland und Staat sich verschuldet und mehr ausgegeben haben, als sie einnahmen. Noch mehr hat Deutschland unter seinen Möglichkeiten gelebt: Es gibt reichlich unausgelastete Produktionskapazitäten und arbeitsuchende Arbeitslose.

Der etwa 2 DIN-A4-Seiten lange Artikel kann auf der Website des Wirtschaftsdienst (Leitartikel 90. Jahrgang, Heft 7, Juli 2010) als PDF heruntergeladen werden.

2 Kommentare zu „Nicht WIR haben über unsere Verhältnisse gelebt, Frau Merkel“

  1. Pingback: links for 2010-07-16

  2. Ein sehr treffender Artikel. Danke.

    Angesichts dieser Tatsachen frage ich mich, ob blinder Aktionismus nach dem europäischem Griechenlandtrauma oder aber das Ziel des generellen Sozialabbau Frau Merkel zu dieser irreführenden Aussage veranlasst haben…

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